Historien-Fans wandern ins Gefecht

Lichte/Jena · Vor 210 Jahren hat Napoleon bei Jena das preußische Heer vernichtend geschlagen. Mit Kanonendonner und in historischen Uniformen stellen Hunderte Geschichtsfans die Schlacht am Wochenende nach. Manche nehmen dafür gar einen tagelangen Fußmarsch auf sich.

 Gekleidet wie Napoleons Infanteristen um 1806 marschieren Maximilian Koch, Oliver Schmidt und Paul Römer (v. l.) in Richtung Jena. Foto: Schutt/dpa

Gekleidet wie Napoleons Infanteristen um 1806 marschieren Maximilian Koch, Oliver Schmidt und Paul Römer (v. l.) in Richtung Jena. Foto: Schutt/dpa

Foto: Schutt/dpa

Oliver Schmidt hat die Muskete über seine Schulter gelegt, am Ende ihres Laufes blitzt ein Bajonett. Mit blauem Uniformrock, weißer Weste und Zweispitz auf dem Kopf passiert er den 1500-Seelen-Ort Lichte im Süden Thüringens - vorbei an hohen Fichten und schieferverkleideten Häusern. Der Kies unter den mit Nägeln beschlagenen Schuhen knirscht. Ende vergangener Woche ist der 51-Jährige in Coburg in Bayern aufgebrochen, am Freitag will er mit seinen beiden Weggefährten in Jena eintreffen. Die ganze Strecke laufen sie zu Fuß - so wie einst Napoleons Infanteristen, deren Uniformen die drei Männer nachahmen wollen. Denn am Wochenende jährt sich die Schlacht von Jena und Auerstedt zum 210. Mal - und wird von Hunderten Menschen nachgestellt.

Die Männer fallen auf. "Kommt ihr nicht ein paar Jahre zu spät?", ruft ein Anwohner und lacht. Ein Junge fragt: "Als was habt ihr euch denn verkleidet?" Er erkundigt sich nach der Echtheit des Gewehres, das er kurz halten darf. "Nein, die Muskete schießt nicht", versichert ihm Schmidt, der sich Sans-Souci nennt.

"Wir haben ganz klar einen Exotenbonus", weiß sein Begleiter Maximilian Koch alias Pas-Perdu. "Das öffnet manche Tür und hilft bei der Schlafplatzsuche." Der Student der Fahrzeugtechnik aus Berlin trägt ebenfalls französische Uniform, deren Messingknöpfe ihn als Angehörigen des 22. Regiments ausweisen. Es ist schon spät am Nachmittag, doch wie sie die Nacht verbringen, wissen sie noch nicht. Notfalls schlafen sie trotz einstelliger Temperaturen im Freien. "Das ist kein Problem, wenn man ein Feuer hat", erklärt Schmidt.

In der Nacht zuvor hatten sie Glück. In Steinach habe sie ein Privatmann zum Abendessen eingeladen, erzählt der Heidelberger Historiker mit Spezialgebiet preußisches Militär. Sein Nachbar bot ihnen ein Gästezimmer für die Nacht. "Sie haben uns auch noch einen rumänischen Pflaumenschnaps mitgegeben."

Mit 700 bis 800 Darstellern rechnet die Arbeitsgemeinschaft Jena 1806, die das Programm zum 210. Jahrestag der Schlacht am Wochenende organisiert. Die meisten seien einfache Infanteristen, sagt Sprecherin Claudia Behnke. Doch auch Kanonendonner und Pferdegetrappel werden auf dem Schlachtfeld von einst erschallen. Die Teilnehmer kommen laut Behnke nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern wie Frankreich, Belgien, Italien und Polen. Feldherr Napoleon wird von Mark Schneider aus den USA verkörpert. Neben der Schlacht bekommen Besucher Einblicke in das einstige Lagerleben der Soldaten, und es wird der Zehntausenden gedacht, die im Feld ihr Leben ließen.

"Auf den ersten Blick mag das kriegsverherrlichend aussehen", erklärt Behnke. "Für uns ist das völkerverbindend." Denn über die Jahre seien zwischen den Teilnehmern verschiedener Länder Freundschaften entstanden. Das bestätigen auch die drei Infanteristen auf dem Weg nach Jena. Ihm gehe es weniger um die Schlacht an sich, als um das Drumherum, erzählt Koch. "Das ist ein Abenteuer, ein Spiel, bei dem anders als einst alle gewinnen", ergänzt Schmidt.

Die beiden haben inzwischen mit ihrem dritten Kameraden, Paul Römer (22), der wie Schmidt aus Baden-Württemberg kommt, an einer Kuhweide Rast eingelegt. Sie lehnen ihre Musketen an einen Baum und legen die vollbepackten Tornister aus Kuhfell ab. Daraus kramen sie den in Tuch gewickelten Proviant hervor - Brot, Schinken, Kohlrabi sowie eine Flasche Portwein.

Die Uniformen und Ausrüstung sind originalgetreu denen von einst nachempfunden. Doch die Männer wissen, dass ihre Erlebnisse anders sind als die der französischen Soldaten damals. "Uns fehlt - zum Glück - die Todesgefahr", erklärt Schmidt. "Und wir haben genug zu essen und zu trinken sowie nette, freundliche Kommandeure."

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