Gitarrenrock trifft Wassermusik

London · Jimi Hendrix und Georg Friedrich Händel haben – mit 200 Jahren Abstand – in direkter Nachbarschaft gelebt. Die Wohnungen der beiden Künstler sind nun Teil der neuen Ausstellung „Händel & Hendrix in London“.

Eine Türklingel ersparte er sich. Es wussten ohnehin genügend Menschen, wo Jimi Hendrix lebte. Wenn Freunde ihn besuchen kamen, schrien sie von der Straße nach oben, er warf dann den Schlüssel hinunter. 23 Brook Street im Londoner Nobelviertel Mayfair. 30 Pfund pro Woche, zwei Zimmer, Küche, Bad. Es war Mitte 1968, die Zeit des "Swinging London " und das Appartement für wenige Monate das erste wirkliche Zuhause, das die US-amerikanische Gitarrenlegende mit der damaligen Freundin Kathy Etchingham bewohnte.

Die feine Gegend galt wegen der Läden, Musikclubs und Restaurants als beliebt bei Pop- und Rockstars wie den Bee Gees oder den Beatles. Für Hendrix war die Wohnung seine Zuflucht, denn sein Ruhm ließ ihm keine Ruhe. Die beiden Telefone klingelten unaufhörlich und er stöpselte sie gerne aus, um ungestört Musik zu machen oder Partys mit Freunden zu feiern. Die Nächte waren gewöhnlich laut und spät. Sie saßen dann auf oder neben seinem Bett, hörten Platten oder Hendrix spielte auf der Gitarre, rauchte, trank, schrieb Songs wie "Room full of Mirrors".

Weggefährten erzählen, dass er eines Nachts erschrocken aus dem Badezimmer zurückkehrte. Hendrix, einige Drinks hatte er sich bereits genehmigt, sah im Spiegel "einen alten Mann im Nachthemd und mit grauem Pferdeschwanz". Ihm war der Geist Georg Friedrich Händels erschienen. Es war purer Zufall: Mehr als 200 Jahre zuvor lebte das Klassikgenie gleich nebenan in 25 Brook Street: Den Rockvisionär und das Klassikgenie trennten zwei Jahrhunderte und nur eine Wand. Hendrix liebte den Gedanken: "Das ist ein Haus der Musik", befand er und machte sich nach dem Einzug auf zur nahen Oxford Street, um etwa die Platte von Händels Meisterwerk "Messias" zu kaufen.

Eine neue Dauerausstellung in der Londoner Brook Street gibt nun Einblicke in das Leben der ungleichen Ausnahmekünstler. Für "Händel & Hendrix in London " haben die Macher die Wand durchtrennt, so dass Besucher im dritten Stock von Händels Wirkungsstätte zum Schlaf- und Arbeitszimmer von Hendrix, der das Gitarrenspiel revolutionierte, übergehen können. Der Kontrast der Einrichtung ist so stark wie jener in der Musik.

Hendrix' Einrichtung ist farbenfroh, bunte Federn stecken in Vasen, die Hippie-Muster und Farben der Kissen und Teppiche in indianisch-marokkanischen Stil lassen das Zimmer an einen Basar erinnern. Die Vorhänge blieben fast immer zugezogen, Hendrix schlief meist bis zum Nachmittag. Auf dem Nachttisch steht wie damals ein muschelförmiger Aschenbecher neben einer Flasche Mateus rosé, und über den Lampen und von der Decke hängen Schals, wie es in den 60er Jahren als modern galt. Zu 99 Prozent sah es 1968 und 1969 so aus, befand Ex-Freundin Kathy Etchingham, als sie den Raum zum ersten Mal sah. Nur der Zigarettendunst ist mittlerweile verzogen. Jetzt tönen Gitarrenklänge aus den Boxen, anhand von Videos und Fotos können Fans einen Blick zurückwerfen. In dem Raum neben dem Schlafzimmer ist die Plattensammlung von Hendrix ausgestellt - Blues, Bob Dylan , Jazz und eben Klassik.

Nur wenige Schritte entfernt eine andere Welt. Hier stammen die Möbel wie etwa das kurze Bett mit kardinalsrotem Baldachin aus dem 18. Jahrhundert. Sie gehörten aber nicht Händel, stammten nur aus seiner Zeit. Händel zog endgültig 1713 nach London , 1727 wurde er britischer Staatsbürger - und avancierte von der Insel aus zum Weltstar. In dem Haus in London , in dem er ab 1723 wohnte, komponierte er unter anderem die "Wassermusik" und alle Oratorien , inklusive den "Messias". "In Italien gab es so viele Komponisten, dass der Markt gesättigt war", sagt Kurator Martin Wyatt. "Aber in England war er ein großer Fisch in einem kleinen Teich. Er war so berühmt, dass jeder damals jede Note von Händel hören wollte."

Gibt es Parallelen zwischen Hendrix und dem Barock-Komponisten? "Sie standen in der Öffentlichkeit und kamen beide aus dem Ausland, waren Außenseiter in London und brachten Frische und eine Musiktradition mit, die nicht englisch war", sagt Christian Lloyd von der Queen's University, der zu Hendrix' Jahre in London forschte. Gleichwohl erstreckte sich die Schaffenszeit von Hendrix auf deutlich weniger Jahre. Die Gitarrenlegende erstickte im Alter von 27 in einem Londoner Hotel an seinem Erbrochenem. Händel dagegen starb mit 74 Jahren in der Brook Street.

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