Getötet im Namen der Ehre

Detmold. Nach fünf Verhandlungstagen, drei Dutzend Zeugen und fünf Geständnissen war für Richter Michael Reineke klar: Arzu Ö. wurde Opfer eines "Ehrenmordes". Arzus fünf Geschwister sind vom Landgericht Detmold zu hohen Strafen verurteilt worden. Osman (22) muss mit lebenslanger Haft büßen. Er hatte gestanden, die tödlichen Schüsse auf Arzu abgefeuert zu haben

Detmold. Nach fünf Verhandlungstagen, drei Dutzend Zeugen und fünf Geständnissen war für Richter Michael Reineke klar: Arzu Ö. wurde Opfer eines "Ehrenmordes". Arzus fünf Geschwister sind vom Landgericht Detmold zu hohen Strafen verurteilt worden. Osman (22) muss mit lebenslanger Haft büßen. Er hatte gestanden, die tödlichen Schüsse auf Arzu abgefeuert zu haben. Gegen Schwester Sirin (27) und Bruder Kirer (25) verhängte das Gericht Haftstrafen von zehn Jahren wegen Geiselnahme sowie Beihilfe zum Mord. Die Brüder Elvis (21) und Kemal (24) sollen wegen Geiselnahme für fünfeinhalb Jahre ins Gefängnis.Richter Reineke sieht die Wurzeln des Verbrechens in der Geschichte der Kurden. Vor gut 25 Jahren kommen die Großeltern und Eltern sowie die kleine Sirin aus der Südosttürkei nach Deutschland. Sie fassen Fuß, neun weitere Kinder werden geboren. Sirin arbeitet sich bis zur Angestellten der Stadtverwaltung hoch, peilt den gehobenen Dienst an. So weit der schöne Schein, der so wichtig für kurdische Familien sei, wie ein Ethno-Psychologe als Gutachter im Prozess erklärte. Die Familie gilt als hervorragend integriert, fleißig. "Die waren immer so ordentlich", sagte Ilse Müller im Prozess. In Müllers Bäckerei hatten alle fünf Geschwister gejobbt, zuletzt auch Arzu.

Dort lernt die 18-Jährige auch den Bäckergesellen Alex kennen. Sie trifft sich mit ihm, er schenkt ihr Rosen. Spätestens da merkt die Familie, dass da etwas läuft. Das passt nicht zu den Normen einer kurdischen Familie jesidischen Glaubens. Arzu wird von der Familie verprügelt, einmal bis zur Bewusstlosigkeit. Sie flieht ins Frauenhaus, zeigt den Vater und den Bruder Osman an. "Das war schon fast das Todesurteil", so der Richter. Selbst in ihren Geständnissen hätten die Geschwister vor allem den schönen Schein wahren wollen, kritisierte er. Zu sagen, man habe Arzu wieder zur Familie holen wollen, sei ein Märchen. In Wahrheit sei die Zeit des Redens längst vorbei gewesen. Und wie die Familie damit umgegangen sei, "ist keine innerfamiliäre Angelegenheit". "Wir leben in einer freien Welt. Da darf und soll man sich verlieben." Der Druck auf die Familie, Arzu zur Vernunft zu bringen, sei groß gewesen; der Druck der Familie auf die 18-Jährige aber ungleich größer. Arzu habe gewusst, welche Gefahr ihr von der Familie drohte.

In der Nacht zum 1. November 2011 entführen die Geschwister Arzu gewaltsam aus der Wohnung ihres Freundes. Dann fahren die zwei Brüder Kemal und Elvis nach Hause. Die drei anderen - Sirin, Kirer und Osman - fahren mit Arzu im Auto über Hamburg in Richtung Lübeck. Bei einer Rast sei es zu zwei tödlichen Kopfschüssen gekommen, hatten die Geschwister ausgesagt. Die Leiche bringen sie an den Rand eines Golfplatzes bei Großensee in Schleswig-Holstein. Dort wird sie erst Mitte Januar gefunden.

Die Anwälte von Elvis, Kirer und Osman wollen das Urteil mit Revision anfechten. Die Staatsanwaltschaft will das Urteil zunächst prüfen.

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