Gefangen in 1000 Metern Tiefe

Marktschellenberg · Hoffen, Bangen, Warten: In 1000 Metern Tiefe liegt in der Riesending-Schachthöhle (Bayern) schwer verletzt ein Höhlenforscher. Rettungsteams haben ihn erreicht. Doch wie soll er geborgen werden?

Unter der Erde kämpfen sich Retter Meter um Meter hinab. Oben warten Kollegen in der Sommersonne, ohne zu wissen, was genau in der Tiefe passiert. Sie können nichts tun für den 52-jährigen Stuttgarter Höhlenforscher, der in knapp 1000 Metern Tiefe in der Riesending-Schachthöhle in den Berchtesgadener Alpen festsitzt. Schwer verletzt.

"Er ist ansprechbar, aber es geht ihm nicht gut", heißt es bei der Bergwacht. Aber auch diese Nachricht ist schon mehr als einen Tag alt. Denn es gibt keine Kommunikation nach unten. Eine Telefonverbindung konnte gestern immerhin bis auf knapp 400 Meter Tiefe gelegt werden. Für die Rettung sind bereits vier Kilometer Seile verlegt und vier Biwaks eingerichtet, für Zwischenstopps.

Trotzdem ist völlig offen, wann und wie der erfahrene Mitentdecker der Höhle geborgen werden kann. Ein Arzt ist auch in der Höhle unterwegs. Aber ob er es bis zu dem Verletzten schaffen wird, ist unklar. "Es ist extrem schwierig. Es sind nur sehr wenige Spezialisten, die überhaupt in diese Tiefen vordringen können", sagt der Vizevorsitzende der Bergwacht Bayern, Stefan Schneider, gestern Abend.

Glitschige Schächte, lange senkrechte Passagen und extrem enge Stellen - das sind schon für trainierte und erfahrene Höhlenbegeher extreme Herausforderungen. Wie der Patient hier durch gebracht werden soll, ist unklar. Helfer sprechen von einem "noch nie dagewesenen Einsatz". "Vergessen Sie alles, was Sie bei Rettungseinsätzen je erlebt haben", sagt der Salzburger Höhlenretter Norbert Rosenberger. "Es ist wie die Eiger Nordwand ohne Schuhe und Seil."

Vier Fachleute aus der Schweiz sind gestern Abend am Einstieg der Höhle gestartet, um die drei erschöpften Kollegen abzulösen, die derzeit bei dem Verletzten ausharren. Erst in etwa zwölf Stunden werden sie dort ankommen.

Die Riesending-Schachthöhle ist die tiefste und längste Höhle Deutschlands. Das Gangsystem umfasst eine Länge von 19,2 Kilometern und ist 1148 Meter tief. Der Verletzte ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Höhlenforschung Bad Cannstatt, die die Höhle seit 2002 erforscht. Mit zwei Begleitern wollte er an Pfingsten die Höhle weiter erkunden. "Sie kannten die Höhle", sagt Bärbel Vogel, Vorsitzende des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher.

Die Drei waren bei trockenem Wetter aufgebrochen, gute Bedingungen. Denn unter der Erde kann Regen gefährlich sein, wenn er in den Schächten Wassereinbrüche auslöst. Am Sonntagmorgen gegen 1.30 Uhr überrascht ein Steinschlag die Männer. Ein Stein trifft den 52-Jährigen am Kopf. Der Helm kann den Schlag nicht abfangen. Der Mann wird an Kopf und Oberkörper hart getroffen.

Der Verletzte "liegt Gottseidank eben, trocken und windstill", sagt Schneider. Denn auch in der Tiefe kann Zug entstehen. Es drohe aber unter anderem Unterkühlung. Unten hat es zwischen vier und acht Grad. Ein Ende der Aktion ist nicht absehbar. "Es wird Tage dauern." Vielleicht auch eine Woche. Vielleicht sogar mehrere.

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