Gebackene Globalisierung
Tokio. "Das Auge isst mit", sagt Takeshi Kawamoto und blickt zufrieden. Seine Assistentin hat gerade einen Kuchenteller serviert. Mit eleganten Schwüngen hat sie runde, unregelmäßige Stücke aus dem Kuchen geschnitzt und so kunstvoll arrangiert wie Steine in einem japanischen Meditationsgarten. Dünne Teigschichten verleihen dem Gebäck ein stilvolles Muster
Tokio. "Das Auge isst mit", sagt Takeshi Kawamoto und blickt zufrieden. Seine Assistentin hat gerade einen Kuchenteller serviert. Mit eleganten Schwüngen hat sie runde, unregelmäßige Stücke aus dem Kuchen geschnitzt und so kunstvoll arrangiert wie Steine in einem japanischen Meditationsgarten. Dünne Teigschichten verleihen dem Gebäck ein stilvolles Muster. "Nicht umsonst nennt man den Baumkuchen den König unter den Kuchen", erklärt Kawamoto in akuratem Deutsch. Der Mittsiebziger ist Präsident des japanischen Bäckerei-Konzerns Juchheim, dem in den vergangenen Jahrzehnten ein kleines Globalisierungskunststück gelungen ist: Juchheim hat den deutschen Baumkuchen zum japanischen Modegebäck gemacht.Das aufwändige Backwerk, bei dem hauchdünne Teigschichten um einen Stab - den "Baum" - gestrichen und einzeln gebacken werden, ist in Japan omnipräsent. Supermarktketten haben gleich mehrere Baumkuchensorten im Angebot. In den Lebensmittelabteilungen nobler Warenhäuser macht sich mitunter ein ganzes Dutzend Baumkuchenbäcker Konkurrenz, darunter auch Juchheim, mit rund 350 Läden Marktführer im gehobenen Baumkuchen-Segment.
"Unsere Gründer waren Deutsche, und ihre Tradition führen wir bis heute weiter", erzählt Kawamoto. Die Geschichte beginnt 1908 in Kaub am Rhein, als ein abenteuerlustiger junger Konditormeister namens Karl Juchheim beschließt, sein Glück in Deutschlands chinesischer Kolonie Tsingtau zu suchen. Schon bald betreibt er zwei eigene Läden, doch als 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, fällt Tsingtau an die Japaner, die den Bäcker als Kriegsgefangenen nach Hiroshima verschleppen. Als dort am 4. März 1919 ein internationalen Basar stattfindet, bei dem die Lagerinsassen ihre Fähigkeiten zeigen sollen, backt Juchheim Baumkuchen. Und die Japaner sind begeistert. In Gedenken an den ersten in Japan gebackenen Baumkuchen gilt der 4. März heute offiziell als nationaler Baumkuchentag.
Nach seiner Freilassung eröffnen Karl Juchheim und seine nachgereiste Ehefrau Elise eine Bäckerei in Kobe. Je besser die Geschäfte laufen, umso mehr japanische Mitarbeiter beschäftigt das Ehepaar. Einer davon ist Kawamotos Vater. 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erliegt Karl Juchheim einer langen Krankheit und seine Frau kehrt nach mehr als drei Jahrzehnten in Fernost wieder nach Deutschland zurück. Doch schon wenig später hört sie von Kawamotos Vater: Mit einigen Kollegen will er das Geschäft neu aufbauen. Elise Juchheim siedelt wieder nach Japan.
1967 schickt der alte Kawamoto seinen 27-jährigen Sohn Takeshi nach Deutschland, um in einer Bäckerei in Hannover und an der Meisterschule in Wolfenbüttel zu lernen. Als er nach einem Jahr zurückkommt, ist er überzeugt, dass Juchheim noch deutscher werden müsse. Sein Kalkül geht auf: "Made in Germany" hat bei den Japanern ein gutes Image, und je sicherer sie sein können, dass sie echte deutsche Ware bekommen, umso bereitwilliger greifen sie zu.
Dazu passt, dass Juchheims Baumkuchen von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft mit einer Goldmedaille prämiert wurde. "Wir produzieren ein ganz und gar deutsches Produkt", sagt er: "Den wahren, echten Baumkuchen."