Ganz Paris schwärmt vom Vélib'

Paris. Feierabend-Zeit. Der Verkehr stockt, die Autos hupen, ihre Insassen fixieren genervt ihren Vordermann. Nur ein paar Verkehrsteilnehmer kommen zügig voran, sich trickreich an den Kolonnen vorbeischlängelnd: die Radfahrer. Zu bestimmten Tageszeiten überholen sie jedes noch so PS-starke Auto

Paris. Feierabend-Zeit. Der Verkehr stockt, die Autos hupen, ihre Insassen fixieren genervt ihren Vordermann. Nur ein paar Verkehrsteilnehmer kommen zügig voran, sich trickreich an den Kolonnen vorbeischlängelnd: die Radfahrer. Zu bestimmten Tageszeiten überholen sie jedes noch so PS-starke Auto.Paris, ein Fahrrad-Paradies? Was bis vor wenigen Jahren noch wie ein unvereinbarer Gegensatz schien, wird heute Realität. Die französische Metropole ist zwar kein zweites Amsterdam - doch Drahtesel gehören längst zum Stadtbild. Immer mehr wagen sich in das Haifischbecken aus ungeduldig drängelnden Taxis und schwerfällig tuckernden Stadtbussen, mit denen sie sich mangels gesonderter Radwege oft die rechte Fahrspur teilen - mitunter ein gewagtes Unterfangen. Den Trend entscheidend befördert haben die silbergrauen Rad-Ungetüme, die seit 2007 die Stadt erobern. Vélib' heißen sie, eine Wortmischung aus "vélo" für Fahrrad und "libre service" für Selbstbedienung. Seit ihrer Einführung hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt auf 23 500 Exemplare, die sich auf 1400 Stationen in Paris und mehr als 30 umliegenden Vororte verteilen. An jeder Straßenecke lässt sich ein Rad abholen und zurückgeben. Was zunächst für Unmut sorgte, weil es kostbare Parkplätze wegnahm, erweist sich als Vorteil - da nun auch weniger Autos unterwegs sind. Am Wochenende wurde das Jubiläum groß auf den Champs-Elysées begangen und eine 400 Kilometer lange Radstrecke nach London eröffnet. Dank des ausgeklügelten Leihrad-Systems blickt Bertrand Delanoë, sozialistischer Bürgermeister mit grünen Ambitionen, auf eine Erfolgsgeschichte, die sich an den Zahlen ablesen lässt: Rund 110 000 Nutzer zählt der Großraum Paris täglich, 225 000 Menschen haben ein Jahres-Abo für nur 29 Euro, hinzu kommen Tages- oder Wochen-Abonnements. Die Hälfte der Fahrten werden aus beruflichen Gründen absolviert. "Dass das Vélib' ein solches Gesellschaftsphänomen werden würde, hätte nicht einmal ich erwartet", freut sich Delanoë. Seit seinem Amtsantritt 2001 ging das drückend hohe Auto-Aufkommen in der Stadt um ein Viertel zurück, das der Räder stieg um 41 Prozent und es wurden fast 700 Kilometer Fahrradwege gebaut. Ein echter Mentalitätswandel habe eingesetzt, sagt Christine Lambert von einer pro-Fahrrad-Vereinigung: Dank Vélib' gelte das Rad "nicht mehr als Ding fundamentalistischer Ökos oder der Armen, die sich kein Auto leisten können". Es sei en vogue und "das cleverste Mittel, sich in der Stadt vorzubewegen".

Dabei waren die Anfänge nicht leicht und das System bis vor kurzem ein Defizit-Geschäft, vor allem aufgrund des massiven Vandalismus und der Diebstähle. Allein in den ersten beiden Jahren beliefen sich die Reparaturkosten auf 8,3 Millionen Euro. Rund 8000 Räder mussten komplett neu ersetzt werden, trotz einer Kaution von 150 Euro, die jeder Nutzer hinterlegt. Doch die Zerstörungen gingen um 40 Prozent zurück, der Betreiber Jean-Charles Decaux nennt das System eine "fantastische Vitrine", die weltweit kopiert werde. Auch die Fahrrad-Unfälle nehmen ab.

Delanoë möchte den Erfolg nun wiederholen mit dem vom Vélib'-Projekt inspirierten Autolib', einem in diesem Ausmaß weltweit einzigartigen Ausleihsystem für Elektroautos: Seit fünf Monaten stehen 3000 umweltfreundliche Gefährte zur Verfügung, 5000 Jahres-Abonnenten gibt es bereits. Paris sei die Stadt der Revolution, argumentiert ihr Bürgermeister - heutzutage der ökologischen.

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