Für den Paternoster geht's abwärts

Stuttgart/Berlin · Paternoster gelten als urig. Sie stammen aus längst vergangener Zeit. Hier und da sind die Aufzüge immer noch für jeden zugänglich – eine neue Vorschrift der Bundesregierung soll das ändern.

Staunende Touristengruppen fotografieren sich in den Kabinen, kichernde Schüler fahren in der Mittagspause im Kreis - die drei Paternoster-Aufzüge ziehen viele Gäste ins Stuttgarter Rathaus. Aber wie lange noch? Wegen einer novellierten Verordnung der Bundesregierung drohen drastische Einschränkungen für die Retro-Umlaufaufzüge. Von Montag an sollen aus Sicherheitsgründen nur noch eingewiesene Mitarbeiter mit den altertümlichen Anlagen fahren dürfen. Öffentlicher Zugang wäre ordnungswidrig.

"Wir versuchen alles, was möglich ist, damit der Paternoster auch in Zukunft öffentlich nutzbar bleibt", hieß es aus dem Stuttgarter Rathaus. In München protestierten Anfang der Woche der Paternoster-Verein und die SPD-Stadtratsfraktion. Doch die Betriebssicherheitsverordnung ist eindeutig: "Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Personenumlaufaufzüge nur von durch ihn eingewiesenen Beschäftigten verwendet werden." Laut Arbeitsministerium bedeutet das: kein öffentlicher Betrieb.

Für die politischen Gegner von Andrea Nahles ist das ein gefundenes Fressen - werfen sie der SPD-Ministerin doch schon länger Bürokratiewahnsinn vor. Im Nahles-Ressort weist man deshalb vorsorglich darauf hin, dass die Arbeitsschutzbehörden der Länder selbst die Einschränkung gefordert hatten - und zwar aus Sicherheitsgründen.

So klemmte sich etwa in Frankfurt eine Frau im Jahr 2013 die Beine ein, in Oberhausen drückte eine Kabine 2009 einen kleinen Jungen in den Schacht, weil er sich in Panik an der Fußbodenkante festhielt. In Mainz wurde ein Paternoster in der Stadtverwaltung stillgelegt, weil ein Mitarbeiter nach dem Blutspenden zusammensackte und mit dem Kopf eingeklemmt wurde - er trug schwerste Verletzungen davon. Auch wenige Todesfälle gab es in der Vergangenheit.

Dennoch sind schwere Unfälle selten, was wohl auch an der geringen Zahl der Paternoster liegt. Deutschlandweit kam man vor zwei Jahrzehnten auf rund 500. Wie viele davon heute noch laufen, ist nicht klar.

1880 wurden die Aufzüge in England erfunden, 1885 fuhr der deutschlandweit erste in Hamburg. 1994 sollten die noch laufenden Aufzüge stillgelegt werden, was zum Aufschrei unter Nostalgikern und zur Gründung des "Vereins zur Rettung der letzten Paternoster" führte. Der Bundesrat lehnte schließlich die Aufzugsverordnung der Bundesregierung ab.

So wie die Perlen des Rosenkranzes beim Vaterunser (lateinisch: Pater noster) durch die Finger wandern, laufen die offenen Kabinen der Aufzüge im Kreis. "Technische Störungen als Unfallursache sind die Ausnahme", sagt Thomas Oberst vom TÜV Süd. Unfälle seien meist auf menschliche Fehler zurückzuführen, etwa Stolpern beim Einstieg.

Aus dem Bundesarbeitsministerium heißt es nun: "Die Länder sind zuständig für die Umsetzung und können von der Verordnung künftig abweichen." Denn bis Jahresende ist eine weitere Novelle geplant: Ausnahmen der Beschränkungen sollen möglich werden.

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Hintergrund Von den meisten unbemerkt, dreht auch im Saarland mindestens ein Paternoster tagtäglich seine Runden - außer vielleicht sonntags. Im Mitarbeiter-Bereich der Galeria Kaufhof in Saarbrücken ist nämlich auch heute noch einer in Betrieb. Für Besucher ist der allerdings nicht zugänglich, sondern nur für Angestellte. Ob das gefährlich ist? "Nee", sagt eine Mitarbeiterin der Filiale: "Rechter Fuß rein, linker Fuß rein …". So einfach kann das sein. An einen Unfall kann sie sich jedenfalls nicht erinnern. lre

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