Freude in Chile: Kumpel senden Lebenszeichen

Santiago de Chile. Die erste Nachricht, die aus den Tiefen dringt, ist ein Liebesbrief: "Liebe Liliana", schreibt der 63-jährige Mario Gomez. "Habe Geduld und Vertrauen. Ich habe keinen Moment aufgehört, an Euch alle zu denken. Ich liebe euch alle

Santiago de Chile. Die erste Nachricht, die aus den Tiefen dringt, ist ein Liebesbrief: "Liebe Liliana", schreibt der 63-jährige Mario Gomez. "Habe Geduld und Vertrauen. Ich habe keinen Moment aufgehört, an Euch alle zu denken. Ich liebe euch alle." Eingewickelt in eine Plastiktüte und befestigt an einer Sonde erreicht diese Botschaft am Sonntag gemeinsam mit einer weiteren Notiz aus 700 Metern Tiefe die Oberfläche - 17 Tage nachdem 33 Kumpel in Chile verschüttet wurden. Vor dem Gelände der Unglücksmine brechen Angehörige der Bergleute in Tränen aus.Obwohl viele Familien seit mehr als zwei Wochen vor der Mine ausharren, um für die Eingeschlossenen zu beten, hat an diese Nachricht fast niemand mehr geglaubt: "Wir sind alle 33 im Schutzraum", lautet die zweite, mit roter Schrift gekrakelte Botschaft, die der an den Ort des Geschehens gereiste Präsident Sebastián Piñera freudestrahlend in die Kameras hält. Während sich die Angehörigen in die Arme fallen, finden in der Hauptstadt Santiago spontane Hupkonzerte statt; hunderte Menschen feiern auf den Straßen und schwenken chilenische Flaggen.Seit die kleine Gold- und Kupfermine am Rand von Copiapo in der Atacama-Wüste, etwa 850 Kilometer nördlich von Santiago, am 5. August eingestürzt war, fehlte jedes Lebenzeichen von den Verschütteten. Alle Versuche, sie zu lokalisieren oder zu bergen, schlugen bislang fehl. Die Rettungskräfte wollen nun ein Kabel in die Tiefe hinablassen, über das die Verschütteten mit ihren Angehörigen sprechen können. "Das wird ihnen Hoffnung und Kraft geben", ist sich Carlos Garcia, Leiter der örtlichen Katastrophenschutzbehörde, sicher. Noch sind die Männer mit Wasser und Lampen versorgt. So schnell wie möglich sollen sie nun weiteres Wasser, Essen und Medikamente erhalten.In 700 Metern Tiefe herrschen Temperaturen bis zu 36 Grad Celsius. Eine heruntergelassene Kamera zeigte die schwitzenden Bergleute mit nackten Oberkörpern. "Viele von ihnen sind zur Kamera gestürmt und haben ihr wie Kinder ihre Gesichter entgegengestreckt", sagte Piñera. "Wir konnten ihre Freude und Hoffnung in ihren Augen sehen."Die Geschichte erinnert stark an das deutsche "Wunder von Lengede" (siehe "Rückschau"): Damals, im Jahre 1963, wurden nach einer Bergwerkskatastrophe in der Eisenerzgrube Lengede-Broistedt bereits totgeglaubte Kumpel doch noch lebend geborgen.Bis die Bergleute in Chile allerdings endgültig gerettet sind, könnte nach Einschätzung von Experten noch viel Zeit vergehen. Laut dem mit der Leitung der Bergungsarbeiten betrauten Chefingenieur Andres Sougarret braucht es mindestens vier Monate und stärkere Bohrmaschinen, um einen Schacht in den instabilen Grund zu bohren, der für die Bergung der Männer breit genug wäre.Doch zumindest Mario Gomez, der zu den Erfahrensten der verschütteten Bergleute zählt, demonstriert Zuversicht. "Ich bin sicher, dass wir hier lebend rauskommen", schreibt er. "Wir hören das Geräusch der Bohrungen." Und auch die Adressatin seines Liebesbriefs ist sich nach der Botschaft aus der Tiefe sicher, dass die Kumpel gerettet werden. "Ich wusste, dass mein Mann stark ist", sagt Gomez' Frau Liliana. afp

RückschauDas "Wunder von Lengende" wurde in Deutschland bereits mehrfach verfilmt: Zwei Wochen nach einem Unglück in der niedersächsischen Eisenerzgrube Lengede-Broistedt im November 1963 retteten Einsatzkräfte elf verschüttete Bergleute. Für die totgeglaubten Kumpel war bereits die Trauerfeier geplant, als Klopfzeichen an die Oberfläche drangen und das "Wunder" seinen Lauf nahm. gda

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