Experten fordern neue Drogenpolitik

Berlin · Hohe Strafen für den Besitz von Hanfpflanzen, aber Alkohol zum Taschengeld-Tarif: Experten haben am jährlichen Drogenbericht der Bundesregierung einiges auszusetzen. Nun legen sie eine eigene Untersuchung vor.

Suchtexperten und Nichtregierungsorganisationen haben eine "Wende" in der Drogenpolitik der Bundesregierung gefordert. Der jahrzehntelange Kampf gegen Drogen zeige, dass das Strafrecht nicht geeignet sei, Gesundheitspolitik zu betreiben, sagte der Soziologe Bernd Werse vom Frankfurter Uni-Zentrum für Drogen-Forschung gestern in Berlin.

Es gebe eine Lücke zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den staatlichen Maßnahmen. Repression und Strafverfolgung schafften nur die "Illusion, die Probleme im Griff zu haben und richten in Wirklichkeit viel Schaden an", sagte Werse bei der Vorstellung des ersten Alternativen Drogen- und Suchtberichtes. Hier ein paar Eckpunkte des Berichts:

Alkohol : Der Verbrauch stagniert in Deutschland auf hohem Niveau - der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei rund zehn Litern pro Jahr. Mögliche Hebel sind Jugendschutzgesetze bis hin zum Verbot von Alkohol am Steuer. Den größten positiven Effekt haben nach Meinung der Autoren aber Preiserhöhungen: Ein einheitlicher hoher Steuersatz für alle Alkoholika spiele in den politischen Aktionsplänen jedoch kaum eine Rolle.

Tabak: Obwohl jährlich mehr als 100 000 Menschen in Deutschland vorzeitig durchs Rauchen sterben und weitere 3000 durchs Passivrauchen, greift immer noch fast ein Drittel der Erwachsenen zur Zigarette. Tabakwerbung sollte deshalb komplett verboten werden, Sponsoring ebenfalls und die Tabaksteuern kontinuierlich und deutlich steigen, fordern die Autoren.

Cannabis: Entkriminalisierung des Eigenbedarfs, lautet hier das Credo. Ein regulierter Cannabis-Markt, etwa durch Fachgeschäfte oder Cannabis-Clubs und mit konsequentem Jugendschutz, spare viele Millionen Euro. Statt für Strafanzeigen könne dieses Geld für Prävention ausgegeben werden.

Medikamente: Laut Bericht sind rund 1,2 Millionen Menschen in Deutschland von Benzodiazepinen abhängig - in der Regel Schlafmittel oder Psychopharmaka. Weitere bis zu 400 000 Bundesbürger schlucken andere Pillen. Medikamentenabhängigkeit ist damit in Deutschland nach Tabak die größte Sucht, noch vor Alkohol . Ein Problem haben vor allem alte Menschen, die mehrere Arzneien gleichzeitig einnehmen. Die Autoren kritisieren, dass bisherige Studien oft nur die Altersgruppe bis 65 Jahre im Blick hätten.

Fixerstuben: Sie gibt es nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe nur in sechs von 16 Bundesländern. Drogenabhängige Menschen können sich dort unter hygienischen Bedingungen mit sauberem Spitzbesteck einen Schuss setzen. Damit sollen Infektionen, die Verbreitung von Aids und ein Zusammenbrechen nach Überdosen verhindert werden. Nach Einschätzung der Aidshilfe gibt es dadurch weniger Todesfälle und auch weniger hilflose Junkies im Umfeld der Drogenkonsumräume. Die Aids-Hilfe kritisiert, dass die Räume rechtlich möglich sind - und trotz positiver Erfahrungen nur in wenigen Bundesländern existieren.

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