Er hat es wirklich getan

Düsseldorf · Das Bild vom Absturz der Germanwings-Maschine wird immer vollständiger. Die Ermittlungen in Frankreich und Düsseldorf weisen in die gleiche Richtung: dass der Co-Pilot sich mit dem Thema Selbsttötung beschäftigt hat und den Flieger absichtlich zum Absturz brachte.

Es muss ein merkwürdiges Gefühl für die Düsseldorfer Ermittler gewesen sein, die letzten Recherchen des Co-Piloten der Germanwings-Maschine auf seinem Tablet nachzuvollziehen. Anhand der von ihm eingegebenen Suchbegriffe können sie nun zum Teil rekonstruieren, worum sich seine Gedanken in den letzten Tagen gedreht haben.

Früher wäre Andreas Lubitz vielleicht in die öffentliche Bibliothek gegangen, hätte Bücher auf- und wieder zugeschlagen und damit keine Spuren hinterlassen, höchstens Fingerabdrücke. Aber bei welchem Buch hätte man als Ermittler da anfangen wollen zu suchen? Bei der Suche im Netz ist es anders.

Die Staatsanwaltschaft hat herausgefunden, dass sich der Co-Pilot in der dritten Märzwoche über medizinische Behandlungsmethoden und Möglichkeiten eines Suizids informiert hat. Außerdem interessierte er sich für den Sicherheitsmechanismus der Cockpit-Türen. Das könnte bedeuten: Er wollte sich noch einmal vergewissern, dass sich die Cockpit-Türen wirklich nicht von außen öffnen lassen, wenn sie von innen verriegelt werden. Vielleicht wollte er letzte Zweifel ausräumen.

Die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf warnt weiter vor voreiligen Schlüssen: "Aufgrund des Umfanges der Dokumente und der Vielzahl der Dateien sind weitere Ermittlungsergebnisse in den nächsten Tagen nicht zu erwarten." Zumindest ein Rückschluss liegt aber nahe: Ganz spontan handelte der Copilot nicht. Der 27-Jährige hat möglicherweise längere Zeit darüber nachgedacht, ein Passagierflugzeug als Suizidmittel zu wählen.

Am Karfreitagmorgen kommt dann eine Nachricht, die den Verdacht des absichtlich herbeigeführten Absturzes immer mehr zur Gewissheit werden lässt: Die erste Auswertung des zweiten Flugschreibers durch die französischen Behörden bestätigt, dass der Co-Pilot die Maschine bewusst in den Sinkflug gebracht hat. Doch viele Fragen bleiben.

So weiß man noch nicht - und wird es vielleicht nie wissen: Hatte Lubitz die Möglichkeit vorher nur erwogen oder hatte er bereits den festen Entschluss gefasst? Wartete er vielleicht seit längerem auf die passende Gelegenheit, hätte es demnach auch einen ganz anderen Flug treffen können?

Unwillkürlich stellt man sich auch die Frage: Hat er denn überhaupt nicht an die anderen gedacht? Darauf gibt es zurzeit keine Antwort. Es ist aber so, dass Menschen, die an einer schweren Depression leiden, durch eine Hölle gehen. Einige sind dabei am Ende nur noch von dem Gedanken beherrscht, diese Qual schnell zu beenden. Ob dies bei dem Co-Piloten der Fall war, ist nicht bekannt.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU ) zieht nach dem Flugzeugunglück ein Wiedereinführen der Ausweispflicht auf Flügen in der EU und innerhalb der Schengen-Grenzen in Erwägung. Es sei ein "riesiges Sicherheitsproblem", dass nicht mehr klar sei, wer überhaupt in einem Flieger sitze. "Wir müssen ernsthaft überlegen, ob das in Zukunft wirklich noch so bleiben kann", sagte de Maizière gestern. Zudem forderte der Innenminister einen besseren Austausch von Fluggastdaten mit Nicht-EU-Staaten.

Meinung:

Blinder Aktionismus

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Woher Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Überzeugung nimmt, eine Ausweispflicht bei allen Flügen innerhalb der EU einführen zu müssen, bleibt ein Rätsel. Im aktuellen Fall des Todesfluges über den französischen Alpen ging das Unheil eindeutig von einem offenbar lebensmüden Co-Piloten aus und nicht von irgendwelchen Mitreisenden. Diesen schrecklichen Vorgang in die Nähe des islamistischen Terrors zu rücken, ist jedenfalls absurd. Seit rund zwei Jahrzehnten müssen die Fluggesellschaften die Ausweise ihrer Fluggäste nicht mehr flächendeckend kontrollieren. In dieser langen Zeit ist kein einziger Fall bekannt geworden, bei dem ein Fluggast sein Ticket an einen Fremden, gar einen Terroristen weitergegeben hätte, oder gezwungen worden ist, dies zu tun. So liegt der Verdacht nahe, dass Innenminister de Maizière nur ein Problem konstruiert, um die Kontrollen der Bürger generell zu verschärfen.

Zum Thema:

HintergrundFlugschreiber (Blackboxes) liefern den Ermittlern wichtige Informationen zur Aufklärung von Flugunfällen. Sie bestehen aus zwei Teilen: dem Stimmrekorder und dem Datenrekorder. Der Flugschreiber zeichnet Kurs, Geschwindigkeit, Flughöhe oder Neigungswinkel der Maschine auf. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort