Englands Ex-Fußballer klagen an

London · Neuer Sex-Skandal auf der Insel: Seit Tagen berichten britische Ex-Profifußballer, wie sie in den 80er und 90er Jahren von Jugendtrainern missbraucht wurden. Jetzt sind hunderte weitere Fälle bekannt geworden.

Seine Stimme ist brüchig, die Augen glänzen. Paul Stewart fällt es nicht leicht, seine Erinnerungen in Worte zu fassen. Doch der ehemalige britische Fußball-Star, der unter anderem für den FC Liverpool , Manchester City und Tottenham Hotspur aktiv war, hofft, mit seiner Geschichte etwas verändern zu können. Ab dem Alter von elf Jahren wurde er täglich von seinem Jugendtrainer sexuell missbraucht. "Er hat mir gesagt, dass ich diese Dinge tun muss, wenn ich ein Profifußballer werden will", sagt der heute 52-Jährige. "Er drohte mir, meine Eltern und meine zwei Brüder umzubringen, wenn ich jemals etwas verraten würde. Ich war völlig verängstigt." Erst mit 15 Jahren entkam Stewart seinem Trainer, schaffte es später bis in die Nationalmannschaft. Die Erlebnisse als Teenager ließen ihn aber niemals los, jetzt ging er an die Öffentlichkeit. Und seine Geschichte ist nur eine von vielen, die derzeit auf der Insel ans Licht kommen.

Seit Tagen melden sich Ex-Fußballprofis zu Wort und erzählen, wie sie in den 70er, 80er und 90er Jahren von Jugendtrainern sexuell missbraucht worden seien. Den Anfang machte der 43-jährige Ex-Spieler Andy Woodward, der vor zwei Wochen im "Guardian" von seiner Leidenszeit berichtete. Daraufhin brachen auch andere ihr Schweigen. Laut der Gewerkschaft PFA hätten mehr als 20 ehemalige Profis von Missbrauch berichtet. Der Polizei zufolge meldeten sich 350 angebliche Opfer. Sie ermittelt bereits.

Die britische Generalstaatsanwaltschaft teilte derweil mit, dass der frühere Jugendtrainer von Woodward, Barry Bennell, wegen Übergriffen auf ein Kind angeklagt wird. Der 62-Jährige galt in den 80er und 90er Jahren als erfolgreicher und gut vernetzter Talentscout. Eine interne Untersuchung des englischen Fußballverbands FA soll nun klären, "welche Information der Verband während der relevanten Zeit hatte und welche Maßnahmen hätten ergriffen werden sollen".

Gestern teilte die Kinderschutzorganisation NSPCC mit, dass bei einer speziell dafür eingerichteten Hotline in der ersten Woche schon mehr als 860 Menschen angerufen hätten, was deren Chef als "erschütternden Anstieg" bezeichnete. Gareth Southgate, der neue Nationaltrainer Englands, nannte den Mut der Opfer "außerordentlich". "Die Geschichten zu hören, zerreißt einem das Herz."

Die Fälle wecken schreckliche Erinnerungen im Königreich. In den vergangenen Jahren wurde das Land regelmäßig von Missbrauchsskandalen erschüttert. Begonnen hat die juristische Aufarbeitung im Zuge der Ermittlungen um den mittlerweile verstorbenen Star-Moderator Jimmy Savile, der über Jahrzehnte hunderte Kinder und Erwachsene missbrauchte und sich sogar an Leichen vergangen haben soll. Auch andere schillernde Prominente wie der Glamour-Rocker Gary Glitter trieben damals ihr Unwesen.

Ex-Fußballer Paul Stewart befürchtet, dass das Ausmaß jetzt noch größer sein könnte. Er vermutet hunderte Fälle. Denn: "Der Zugang zu Kindern ist im Sport sehr einfach."

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