Einwohner kämpfen um Venedig

Venedig · Die Lagunenstadt Venedig lebt und leidet mit dem Tourismus. Touristen und steigende Kosten vertreiben die Einheimischen. Und die setzen sich jetzt zur Wehr. In einer Prozession zogen die Einwohner durch die Stadt.

Die Koffer für den Auszug aus der Stadt haben die Demonstranten gepackt. Noch geben sie sich aber nicht geschlagen. Foto: dpa

Foto: dpa

Dass es in Venedig tatsächlich zu wenig Menschen gibt, mutet seltsam an. Schließlich überschwemmen Touristen die Stadt. Aber die ureigenen Einwohner verlassen das Zentrum in Scharen. Innerhalb einer Generation ist die Bevölkerung fast um ein Drittel geschrumpft. Steigende Kosten treiben immer mehr in die Flucht. Kann eine Stadt das überleben? Die Frage schwebt über der Lagunenstadt.

Diesen Monat ist die Zahl der Einwohner auf unter 55 000 gesunken - vor 26 Jahren waren es noch 78 000. Das Bedrohliche: Fast die Hälfte derer, die noch da sind, ist über 60. Junge Leute muss man suchen: nur etwa 9000 sind unter 18.

"Wir haben 2009 eine ‚Beerdigung‘ für Venedig gehalten, als die Zahl unter 60 000 gesunken ist. Jetzt sind wir nur noch 55 000. Wenn wir so weiter machen, werden wir zu einer Geisterstadt wie Pompeji", sagt Matteo Secchi von der Gruppe Venessia.com, die sich für das Überleben der Stadt einsetzt.

Der 46-Jährige veranstaltete am Samstag mit anderen Einwohnern unter dem Motto "Venexodus" (Exodus aus Venedig ) eine Prozession von der Rialto-Brücke zum Rathaus. Symbolisch für den Auszug, aber auch für den Massentourismus, hielten sie Koffer in die Luft.

Denn die größte Bedrohung für die lokale Gemeinschaft ist der Tourismus - gleichzeitig ist er aber auch die Haupteinnahmequelle. Die Zahl der Besucher hat sich in den vergangenen 25 Jahren fast vervierfacht. Und die Stimmung zwischen Touristen und Einheimischen ist oft vergiftet. Der Touristenboom hilft Hoteliers und Gondolieren genauso wie Hauseigentümern, die ihre Wohnungen an Ausländer vermieten oder verkaufen. Andere dagegen fühlen sich bedroht, da Wohnungen in Pensionen und Supermärkte in Touristenfallen umgewandelt werden. Wer in einem authentischen Restaurant im Stadtkern essen möchte, kann lange suchen. "Der Tourismus hat uns kurzfristig reich gemacht, aber er tötet uns langfristig", sagt Secchi. "Zu viele wollen nicht mehr in dieser Stadt leben, sondern sie ausnutzen wie eine Prostituierte."

Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer. Piero Dri zum Beispiel ist einer der jungen Venezianer, die geblieben sind. Der 33-Jährige stellt die traditionellen Rudergabeln für Gondeln her und verarbeitet sie auch zu Dekorationen. Er ist einer von Vieren, die diese Tradition in Venedig hochhalten.

Gleichzeitig fordern viele eine wirksame Begrenzung des Tourismus. Dabei bekommen sie auch Unterstützung von der Unesco. Die UN-Kulturorganisation hat damit gedroht, Venedig auf die Liste der bedrohten Kulturgüter zu setzen. "Der ständig steigende Tourismus dominiert und verdeckt die traditionelle städtische Gesellschaft der historischen Stadt", hieß es schon 2015 in einem Bericht. Stein des Anstoßes sind vor allem die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die in Venedig anlegen und nicht nur das Ökosystem der Lagune gefährden. Sie bringen auch die vielen umstrittenen Tagestouristen .

Bürgermeister Luigi Brugnaro hat der Unesco jedoch eine Absage erteilt. Optionen wie höhere Abgaben für Tagestouristen und für kurzzeitige Vermietungen sowie Schranken, um die Zahl der Besucher zu kontrollieren, liegen seit Langem auf dem Tisch, wurden aber nie umgesetzt.