Eingreiftruppe Mama und Papa

Frankfurt · Sie bringen ihre Kinder bis ins Klassenzimmer, wollen den Kleinen jedes Problem ersparen. Überfürsorge oder einfach nötig? Manche Experten beobachten das Phänomen „Helikopter-Eltern“ mit Sorge.

Die Mutter besucht an der Volkshochschule einen Lateinkurs, um ihrem Sohn bei den Hausaufgaben helfen zu können. Der Vater schreibt seiner Tochter den Schulaufsatz. Das ist aus Expertensicht in vielen Familien bereits Normalität - mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Immer häufiger ist von Eltern die Rede, die ihre Sprösslinge umkreisen wie Hubschrauber und alles für sie regeln wollen. Eine bedenkliche Entwicklung, finden einige.

Ilka Hoffmann von der Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kennt das Phänomen der "Helikopter-Eltern". Sie beobachte etwa, dass viele Mütter und Väter von Schülern immer seltener direkt mit dem Lehrer sprechen, wenn sie mit dem Unterricht oder mit einer Note unzufrieden sind.

"Manche schreiben gleich ans Ministerium, auch wegen einer Drei im Diktat", sagt Hoffmann. Einige Eltern gingen davon aus, sie wüssten, wie alles laufen muss - weil sie selbst mal eine Schule besucht haben. Das selbstbewusste und fordernde Auftreten mancher Mütter und Väter verunsichere vor allem junge Lehrer.

In seinem Buch "Helikopter-Eltern" schreibt Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes: "Besonders machtvoll werden Helikopter-Eltern, wenn sie sich zusammentun. Dann werden Elternabende zu Lobbyistenabenden, zu parlamentarischen Unterausschüssen, ja zu Inquisitionsveranstaltungen." Kraus spricht aus Erfahrung: Er leitet ein bayerisches Gymnasium.

Der Bundeselternrat hält dagegen: Vielen Eltern bleibe gar nichts anderes übrig, als sich um Schulthemen stark zu kümmern. Zum einen, weil die Schulen es erwarteten, zum anderen, weil die Kinder die Hilfe dringend bräuchten, sagt die Vize-Vorsitzende, Ursula Walther. Mit Blick auf Bundesländer wie Bayern, die im deutschlandweiten Schulvergleich gut dastehen, betont sie: "Wenn sie da ihrem Kind nicht helfen, dann hat es keine Chance, außer es ist der absolute Überflieger". Sie erzählt von Müttern, die ihren Halbtagsjob aufgaben, als ihr Kind aufs Gymnasium wechselte, um es unterstützen zu können.

Die Erwartungen der Schulen an die Eltern seien gestiegen. "Wir beobachten, dass der Druck zugenommen hat, dass die Schule immer mehr auf das Familienleben übergreift", kritisiert Walther. "Es gibt natürlich die Eltern, die es übertreiben." Ihr Anteil wächst, wie Kraus schreibt: "Heute ist ein pädagogischer Totalitarismus angesagt." Die Helikopter-Eltern meinten es zwar besonders gut. "Aber das besonders Gute ist oft der Feind des Guten." Kraus ruft zu Bodenständigkeit, Spontaneität und Intuition in der Erziehung auf.

Einmischung, Umklammerung, Überbehütung: All dies kann aus Kraus' Sicht fatale Folgen haben, nicht nur für die "gepamperten" Kinder, sondern für die Gesellschaft. Er geht sogar so weit, dass er den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat gefährdet sieht: "Lebten in ihm eines Tages nur noch gedrillte, verwöhnte, verschonte und überbehütete Menschen, würde dieses demokratische Gemeinwesen nicht mehr funktionieren, weil dann die tragfähige Basis fehlte."

Frau Brausch, wo liegt die Grenze zwischen gesunder und übertriebener Fürsorge?

Brausch: Die Grenze liegt dort, wo Eltern nicht zulassen, dass ihre Kinder selbstständig werden. Es ist einfach nicht gut, wenn die Eltern ihrem Kind nicht zutrauen, dass es etwas selbst schafft.

Woran können Eltern merken, dass diese Grenze erreicht ist?

Brausch: An dem Gefühl "Mein Kind kann das nicht, ich muss das alles regeln." Wir sehen das täglich in den Schulen. Manche Eltern würden ihr Kind am liebsten bis ins Klassenzimmer bringen - das geht natürlich nicht. Sich daran zu halten, fällt manchen Eltern sehr schwer.

Die Gewerkschaft GEW beklagt, dass viele Eltern die Lehrer übergehen und sich gleich ans Ministerium wenden. Machen Sie solche Beobachtungen auch?

Brausch: Ja, viele Eltern kennen den Dienstweg nicht oder halten ihn bewusst nicht ein. Wir haben sogar Fälle, in denen sich Eltern direkt bei der Staatskanzlei melden.

Wann passiert das?

Brausch: Es geht immer darum, dass ihre Kinder angeblich falsch behandelt werden. Das kann wegen einer schlechten Note sein, aber auch wegen Unterrichtsinhalten, die den Eltern nicht passen.

Nimmt das Phänomen zu?

Brausch: Ich würde sagen, die Bereitschaft, den Lehrer zu übergehen - nach dem Motto "direkt zum Schmidt und nicht zum Schmidtchen" - hat in den letzten zehn, 20 Jahren zugenommen.

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