Eine medizinische Sensation

Istanbul. Bis vor wenigen Tagen hatten Atilla Kavdir und Ugur Acar nur Eines gemeinsam: Beide waren in jungen Jahren zu Opfern schrecklicher Unfälle geworden, bei denen sie schwer verletzt wurden. Doch seit dem Wochenende sind die Schicksale der beiden Männer aus der Türkei untrennbar miteinander verbunden

Istanbul. Bis vor wenigen Tagen hatten Atilla Kavdir und Ugur Acar nur Eines gemeinsam: Beide waren in jungen Jahren zu Opfern schrecklicher Unfälle geworden, bei denen sie schwer verletzt wurden. Doch seit dem Wochenende sind die Schicksale der beiden Männer aus der Türkei untrennbar miteinander verbunden. In einer spektakulären Mehrfach-Transplantation erhielten sie mehrere Körperteile eines Selbstmörders - Acar wird sogar mit dem Gesicht des toten Spenders leben.Die dramatischen Ereignisse, die mit einer medizinischen Sensation für die Türkei endeten, begannen mit dem Selbstmord von Ahmet Kaya, einem 45-jährigen Textilarbeiter aus dem westtürkischen Usak. Nach Medienberichten warf sich der unter Depressionen leidende Kaya vor zwei Wochen vor einen Zug, doch er starb nicht sofort. Erst vergangene Woche stellten die Ärzte den Hirntod fest, kurz darauf stand auch sein Herz still. Seine Familie gab seine Organe für die Transplantation frei, Ärzte entnahmen ihm in einer Operation unter anderem die Hornhaut der Augen. Aber nicht nur die.

Im südtürkischen Antalya setzte sich in derselben Nacht der Chirurg Ömer Özkan in ein Spezialflugzeug des türkischen Gesundheitsministeriums und reiste nach Usak, um mehrere Körperteile von Kaya abzuholen. In einer Klinik in Antalya warteten die Unfallopfer Kavdir und Acar unterdessen auf die Operationen, die ihr Leben verändern sollten. Kavdir, 34, war als Elfjähriger an eine Stromleitung geraten, als er Tauben verjagen wollte - er verlor beide Arme und ein Bein. Der heute 19-jährige Acar war als sechs Wochen altes Baby durch eine brennende Decke entstellt worden: "Kinder fürchten sich vor meinem Anblick", sagt er.

Am Samstagmorgen begann ein 25-köpfiges Ärzteteam unter Leitung von Özkan mit der gewagten Mehrfach-Operation. Sie verpflanzten die Arme und ein Bein von Kaya an Kavdirs Körper, während Acar das Gesicht des Textilarbeiters erhielt: die erste Gesichtstransplantation der Türkei.

Die türkischen Medien feierten die fast zwölf Stunden langen Operationen gestern als Sensation. Erst in zehn bis fünfzehn Tagen werde man wissen, ob man von einem Erfolg sprechen könne, sagte Özkan. "Aber wenn wir da durchkommen, schreiben wir Geschichte." Noch weiß niemand, ob das Wagnis gelingen wird. Einen ersten ernsten Rückschlag mussten Kavdir und die Ärzte bereits hinnehmen: Kavdirs Körper stieß das transplantierte Bein ab, die Mediziner mussten es wieder amputieren.

Bei dem 19-jährigen Acar scheint bisher alles zufriedenstellend zu verlaufen. Özkan sagte, Acar werde dem Spender Kaya gleichen: Bis auf die Augenlider wurde das Gesicht des Patienten völlig erneuert, sogar die Lippen sind die von Kaya. Es werde aber Monate dauern, bis der Patient sein neues Gesicht normal benutzen könne.

Witwe und Tochter des Spenders reisten unterdessen nach Antalya, um die Familien der Empfänger zu treffen. Ihr Vater sei ihr im Traum erschienen, berichtete Kayas Tochter Leyla - er habe gesagt: "Irgendwas ist mit meinem Gesicht passiert."

Atilla Kavdir, der Empfänger der Arme von Kaya, hatte sich schon vor der Operation auf ein ganz neues Lebensgefühl gefreut. Laut Zeitungsberichten sagte er kurz vor dem Eingriff, zum ersten Mal werde er Hand in Hand mit seinen Kindern einen Spaziergang machen. "Und ich werde sie in den Arm nehmen und knuddeln können."

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