Eine medizinische „Katastrophe“

Annegret R. hat schon 13 Kinder und sieben Enkel. Nun ist die 65 Jahre alte Frau aus Berlin schwanger mit Vierlingen – sie hat sich im Ausland durch eine Eizellen- und Samenspende künstlich befruchten lassen. Das wirft medizinische und ethische Fragen auf. Zwei Experten erklären, wie eine Frau in diesem Alter noch Mutter werden kann – und dass Annegret R. für sich und die Kinder beträchtliche Risiken in Kauf nehme.

Wie kann eine Frau mit 65 Jahren überhaupt noch schwanger werden?

Nach der Menopause bedürfe es dazu der Eizell-Spende einer jüngeren Frau, erläutert Professor Jan-Steffen Krüssel vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin. Diese ist jedoch in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. In anderen Ländern ist das Vorgehen dagegen nach Angaben des Düsseldorfer Mediziners eine Standardtherapie.

Was passiert dabei?

Die Eizelle der Spenderin wird mit dem Sperma eines Spenders im Reagenzglas befruchtet und dann der Frau implantiert. Oft bekommen Frauen mehr als einen Embryo eingepflanzt. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingsschwangerschaft. Wie viele Embryonen der Berlinerin implantiert wurden, ist unklar, vermutlich mindestens zwei.

Wie oft gibt es Schwangerschaften bei älteren Frauen?

"Ich kenne Vierlingsschwangerschaften, ich kenne auch Schwangerschaften von sehr reifen Frauen, aber diese Kombination ist für mich absolut neu", sagt Professor Holger Stepan, Leiter der Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Leipzig. Aufsehen erregten im Jahr 2008 Berichte über eine 70 Jahre alte Inderin, die nach künstlicher Befruchtung eine Tochter zur Welt brachte.

Wie häufig kommt es zur Geburt von Vierlingen?

Laut deutschem IVF-Register gab es von 2000 bis 2012 in Deutschland 18 Vierlingsgeburten nach künstlicher Befruchtung. Bei einer davon war die Mutter über 40 Jahre alt.

Ist eine Schwangerschaft über 60 medizinisch vertretbar?

"Bei jeder Schwangerschaft, bei der die Frau älter als 45 ist, müssen wir schon von einer Risikoschwangerschaft reden", sagt Stepan. "Über 60 ist natürlich extrem." Aus medizinischer Sicht sei diese Situation "die absolute Katastrophe". "Der 65-jährige Körper ist definitiv nicht darauf ausgerichtet, eine Schwangerschaft auszutragen, nicht von einem Kind und schon gar nicht von Vierlingen", betont der Mediziner. "Man kann die Risiken dieser Schwangerschaft nicht mehr seriös abschätzen."

Was kann der Mutter passieren?

In diesem Alter ist das Risiko für Bluthochdruck, eine Schwangerschaftsvergiftung oder Diabetes extrem hoch, wie Stepan sagt. "Die Frau kann in einen lebensbedrohlichen Zustand kommen."

Welche Gefahren drohen den Kindern?

Die Vierlinge werden laut Stepan, sofern sie die Schwangerschaft überhaupt überleben, sicher zu früh zur Welt kommen. "Keine Vierlingsschwangerschaft hat je den Termin erreicht. Die Frage ist: wie früh?" Risiken für die Kinder seien etwa Hirnblutungen, Infektionen oder Lungenschäden.

Warum nimmt ein Zentrum überhaupt bei einer Frau in diesem Alter solche Eingriffe vor?

"Ein Kinderwunschzentrum, das so etwas macht, ist nicht auf medizinische Gesundheit ausgerichtet", sagt Stepan. "Hier geht es wahrscheinlich nur um die Schlagzeile, das ist unseriöser Extremsport. Man kann das nur verurteilen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort