Sonnenfinsternis Ein Woodstock der Astronomie

Washington · Der Hype um die heutige totale Sonnenfinsternis in den USA weckt Erinnerungen an das legendäre Festival von 1969.

 Schüler aus Kansas City im US-Bundesstaat Missouri übten vor der Sonnenfinsternis schon einmal den richtigen Gebrauch der Schutzbrillen.

Schüler aus Kansas City im US-Bundesstaat Missouri übten vor der Sonnenfinsternis schon einmal den richtigen Gebrauch der Schutzbrillen.

Foto: dpa/Charlie Riedel

Den US-Amerikanern steht heute ein Fest bevor, das Erinnerungen an das legendärste Konzert der Musikgeschichte weckt. An den Sommer 1969, an glückliche Pärchen im Schlamm. Damals hat Amerika bewegte Zeiten durchgemacht, jetzt ist es ganz ähnlich. Damals die Proteste gegen den Vietnamkrieg, heute die Turbulenzen nach der Wahl Trumps: Die große totale Sonnenfinsternis bietet heute die Chance, sich für ein paar Tage darüber zu erheben. Von einem Woodstock der Astronomie ist deshalb die Rede.

Um 10.16 Uhr Westküstenzeit wird sich der Mond über Lincoln Beach im Bundesstaat Oregon vollständig vor die Sonne schieben. Um 14.48 Uhr Ostküstenzeit wird die „Total Eclipse“ über amerikanischem Festland auf der Höhe von McClellanville, South Carolina, beendet sein. Von Lincoln Beach bis McClellanville zieht sich ein etwa 110 Kilometer breiter Korridor, in dem sich das Drama in seiner ganzen Eindrücklichkeit verfolgen lässt, vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. Und Hopkinsville, eine Kleinstadt im Westen Kentuckys, wird Eclipseville sein, der Ort, an dem die Finsternis am längsten andauert. Zwei Minuten und 40 Sekunden.

Carter Hendricks, der Bürgermeister, rechnet mit 100 000 Schaulustigen, das wäre gut das Dreifache der Einwohnerzahl. Bereits vor zehn Jahren hat Hopkinsville begonnen, sich auf den Ansturm vorzubereiten. Hotels sind seit langem ausgebucht, das nächstgelegene Motel, das noch Zimmer anbietet, 40 Kilometer entfernt, nimmt fast 400 Dollar pro Nacht. Hendricks verspricht sich bleibende Schlagzeilen, und um den Hype noch ein wenig anzuheizen, haben sie im Rathaus beschlossen, den Namen der Stadt vorübergehend zu ändern, urkundlich verbrieft. Viele hätten ja schon angefangen, von Eclipseville zu reden. In den Zeitungen sehe man ständig Eclipseville-Überschriften, „da wollten wir auch ein wenig Spaß haben“, sagt Hendricks. „Also haben wir entschieden, uns zu Eclipseville, U.S.A., zu proklamieren.“

In Wickliffe, knapp zwei Autostunden weiter westlich, sehen sie das freilich anders. Ursprünglich wollte der dortige Bürgermeister mit Flugblättern für die geografische Ausnahmestellung seiner Region werben. Bei Wickliffe mündet der Ohio River in den Mississippi, außerdem treffen in der Nähe drei Bundesstaaten aufeinander, Illinois, Kentucky und Missouri. „Sehen Sie drei Staaten, zwei Flüsse und eine Sonnenfinsternis“, wollte George Lane auf bunte Infoblätter drucken lassen. Angesichts der eher bescheidenen Infrastruktur eines Dorfes mit 670 Einwohnern, das über kein einziges Hotel verfügt, machte er einen Rückzieher. Angesichts der Besucherprognosen sei ihm bange geworden, räumte der Mayor in der „New York Times“ ein. „Wir sind einfach nicht gerüstet, um damit fertig zu werden.“ Ergo: Keine Reklame.

Phil Nicholson, Astronomieprofessor an der Cornell University, erhofft sich Effekte wie nach der Mondlandung. Als Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuß auf den Erdtrabanten setzte, schreibt er in einem Aufsatz, hätten alle in den Himmel geschaut. Das Erlebnis habe zahllose Schulkinder von einer Karriere als Raketeningenieur träumen lassen, „viele wollten auf einmal Mathematiker werden, die Flugbahnen berechnen, oder Astronauten, die in der Schwerelosigkeit Experimente durchführen“. Nun sei es erneut en vogue, sich mit Umlaufbahnen von Planeten, dem Schatten des Mondes oder der Korona der Sonne zu beschäftigen. „Kinder quer durchs Land“, freut sich der Professor, „sehen Wissenschaft in Aktion.“

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