Ein Leben auf der Grenze

Illertissen/Dietenheim. Seine Nächte verbringt Dieter Wolf in Baden-Württemberg, das Frühstück nimmt er bei Sonnenschein in Bayern ein. Sein Schlafzimmer befindet sich in einem Bundesland, die Terrasse im anderen. Auch Wolfs Apfelbaum steht genau auf der Landesgrenze

Illertissen/Dietenheim. Seine Nächte verbringt Dieter Wolf in Baden-Württemberg, das Frühstück nimmt er bei Sonnenschein in Bayern ein. Sein Schlafzimmer befindet sich in einem Bundesland, die Terrasse im anderen. Auch Wolfs Apfelbaum steht genau auf der Landesgrenze. Das hat kuriose Auswirkungen, etwa auf das Recht zum Brennen des Obsts, für das die Gesetze in den Ländern unterschiedlich sind. Der vor 189 Jahren verstorbene Kaiser Napoléon Bonaparte beschäftigt noch immer Grenzexperten, Vermessungsbeamte, Länderparlamente und seit einiger Zeit auch die Europäische Union. Er hatte einst die Iller zur Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern erkoren, dabei aber nicht bedacht, dass sich im Laufe der Jahrzehnte ein Flussbett immer wieder verändert. Jetzt soll in einem grenzüberschreitenden Verwaltungsakt der Grenzverlauf Punkt für Punkt neu festgelegt werden. Herbert Völk vom Vermessungsamt im bayerischen Günzburg und sein württembergischer Kollege Friedhelm Wilms vom Landratsamt Alb-Donau-Kreis schicken immer wieder Vermessungsbeamte an die Iller. Im Juli sollen laut einer EU-Richtlinie über 3000 Messpunkte an der rund 90 Kilometer langen Grenze abgeglichen sein. Derzeit gibt es mancherorts noch immer den so genannten außermärkischen Bereich, wie in den Städten Illertissen (Bayern) und Dietenheim (Baden-Württemberg). Der Sportplatz und einige Häuser von Dietenheim liegen auf bayerischer Gemarkung. "Für die wenigen hundert Bewohner des außermärkischen Bereichs heißt das, dass sie niemals einen Bürgermeister wählen dürfen", erklärt Illertissener Tiefbauamtschef Bernd Hillemeyr aus Bayern. "Das liegt daran, dass die Bürger in dem schmalen Streifen zwischen Dietenheim und Illertissen zu keiner der beiden Städte gehören. Sie wohnen zwar hinter dem Grenzschild von Dietenheim, sind aber rein rechtlich Bayern." Ein Ärgernis für viele Obstbaumbesitzer ist laut dem Dietenheimer Bürgermeister Sigisbert Straub das unterschiedliche Brennrecht in den Ländern. Es gibt Bäume, deren Äpfel auf beide Seiten der Grenze fallen. Damit kommt unterschiedliches Recht zur Anwendung. Württemberg hat ein Kleinbrennrecht, das Obstbaumbesitzern die Verarbeitung zu Schnaps zugesteht. "Wenn der Zollbeamte eine Vorortkontrolle beim Gartenbesitzer macht, und er sieht im Grundbuchauszug, dass der Garten in Bayern ist, dann kriegen wir ein richtig dickes Problem, wenn wir das Obst brennen", erzählt Schnapsbrenner Roland Feller (Foto: ddp). Er hat seine Traditionsbrennerei keine 100 Meter von der bayerischen Grenze entfernt. Der pfiffige Schwabe hat sich jetzt eine Lösung einfallen lassen, mit der auch der Zoll einverstanden ist: die "Verschlussbrennerei". Dabei handelt es sich um eine teure, aber feine Destille, die komplett verplombt ist. In ihr darf Feller auch nicht-württembergisches Obst brennen. Verwirrend wird es genauso vor allem bei Festumzügen. Welche Polizei ist zuständig, wenn der Umzug in der Stadtmitte von Dietenheim startet und welche, wenn etwas am Sportplatz passiert? Im Alltag, sagt Tiefbauamtschef Bernd Hillemeyr, hat sich das längst eingespielt.

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