„Ein furchtbares Einzelversagen“

Bad Aibling · Jetzt herrscht Gewissheit: Das schwere Zugunglück bei Bad Aibling geht auf menschliches Versagen zurück. Der örtliche Fahrdienstleiter schickte einen Zug los, obwohl er das nicht hätte tun dürfen.

Der entscheidende Satz fällt nicht sofort und auch nicht ganz sfreiwillig. Erst auf Nachfragen von Journalisten sagt Oberstaatsanwalt Jürgen Branz gestern bei der Pressekonferenz zur Ursache des schrecklichen Zugunglücks von Bad Aibling eine Woche zuvor: "Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen wurde ein Sondersignal gegeben, das nicht hätte gegeben werden dürfen."

Mit anderen Worten: Die Katastrophe, die elf Männer das Leben kostete und nach letztem Stand 85 teils Schwerverletzte forderte, geht auf menschliches Versagen zurück. Der Fahrdienstleiter im Bahnhof des oberbayerischen Kurortes ließ einen verspäteten Zug Richtung Rosenheim losfahren und löste so das Unglück aus.

Der in Gegenrichtung fahrende Zug stieß auf der eingleisigen Strecke mit dem Zug zusammen, der dort nicht hätte sein dürfen. Zwar setzte der 39 Jahre alte Bedienstete der Deutschen Bahn (DB) noch zwei Notrufe an die beiden Lokführer ab, "aber das ging ins Leere", wie der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese sagt. Die Traunsteiner Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt wegen fahrlässiger Tötung , fahrlässiger Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr gegen den verheirateten Mann mit fast 20-jähriger Berufserfahrung.

Schon kurz nach dem Unglück vom vergangenen Dienstag muss ein Verdacht auf den Fahrdienstleiter gefallen sein. Bei seiner ersten Vernehmung wenige Stunden nach dem Zusammenstoß verweigerte der 39-Jährige noch die Aussage. Am Montagnachmittag aber machte er im Beisein von zwei Anwälten reinen Tisch, wie die Ermittler nun sagen.

Über den Inhalt der ausführlichen Vernehmung will Oberstaatsanwalt Branz vor einem großen Medienaufgebot zunächst nichts sagen, lässt sich dann aber doch die Aussage mit dem verhängnisvollen Sondersignal entlocken. Und er erläutert, dass der aus Holzkirchen kommende Zug drei oder vier Minuten Verspätung hatte. Womöglich um diese Verspätung zu verkürzen, schickte der Fahrdienstleiter den Zug in Bad Aibling auf die Strecke.

Die Haftfrage stellt sich für die Ermittler nicht. Es lägen keine Hinweise auf vorsätzliches Handeln vor, begründet Giese den Verzicht auf Antrag eines Haftbefehls. Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre Gefängnis. Entscheiden muss das zuständige Gericht.

Der Beschuldigte ist in schlechter psychischer Verfassung. Er wurde an einen sicheren Ort gebracht. "Ihm geht's nicht gut", sagt Branz. Der Mann war zum Unfallzeitpunkt vollkommen nüchtern, der Alkoholtest zeigte 0,0 Promille an. Auch Drogen habe er nicht genommen, ergänzt Polizeipräsident Robert Kopp. Es gebe zudem keine Anzeichen auf Erkrankungen. "Was wir momentan haben, ist ein furchtbares Einzelversagen", sagt Branz.

Während die Ermittler sich zur Unfallursache äußern, geht am Unglücksort die Wiederherstellung des beschädigten Gleises weiter. Auf mindestens 120 Metern werden stark deformierte Schienen teils erneuert und das Gleisbett wird ausgebessert. Noch steht ein Waggon eines der Unglückszüge neben dem Gleis. Er kann frühestens heute abtransportiert werden. Danach wird die Oberleitung wieder montiert, die für die Bergungsarbeiten abgebaut worden war. Am Samstag soll mit einer Simulationsfahrt der verhängnisvolle Zusammenstoß nachgestellt werden.

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