"Ein Einsatz im Ungewissen"Kampf ums Überleben in Haiti

Berlin. Mit rund zweistündiger Verspätung ist die Iljushin 76 aus Moskau am grauen Berliner Winterhimmel aufgetaucht. Am Rollfeld vor dem Terminal D des Flughafens Schönefeld setzt rege Betriebsamkeit ein. Auf riesigen Rollpaletten werden ungefähr 200 Kisten angekarrt, die später durch Gabelstapler nach und nach im Bauch der russischen Transportmaschine verschwinden

Berlin. Mit rund zweistündiger Verspätung ist die Iljushin 76 aus Moskau am grauen Berliner Winterhimmel aufgetaucht. Am Rollfeld vor dem Terminal D des Flughafens Schönefeld setzt rege Betriebsamkeit ein. Auf riesigen Rollpaletten werden ungefähr 200 Kisten angekarrt, die später durch Gabelstapler nach und nach im Bauch der russischen Transportmaschine verschwinden. Das vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) gecharterte Flugzeug soll die erste große Hilfslieferung der Organisation für die Erdbebenopfer in Haiti befördern. Neben einer kompletten mobilen Klinik, die bis zu 30 000 Menschen medizinisch versorgen kann, reist auch ein zehnköpfiges Team aus Ärzten, Technikern und Krankenschwestern in die Krisenregion.Joachim Müller wirft noch einmal einen prüfenden Blick auf die Hilfsgüter. "Unsere ersten Informationen aus dem Krisengebiet ergeben ein sehr chaotisches Bild", sagt der Leiter des DRK-Katastrophen-Managements. Und ergänzt nachdenklich: "Das ist schon ein Einsatz im Ungewissen." Internationale Erkundungsteams vor Ort haben dennoch - so gut es ging - in Erfahrung gebracht, was die leidgeprüfte Region in der Karibik am dringendsten braucht. Die Anforderungen wurden der Zentrale des Roten Kreuzes in Genf übermittelt. Und von der wiederum kam die Order an das DRK. Ganz wichtig ist zum Beispiel, dass die Kisten mit Zelten, Betten und medizinischen Instrumenten nicht schwerer als 120 Kilogramm sein dürfen. Um sie zu heben, reicht die Muskelkraft von zwei, drei Personen aus. "Mit Gabelstaplern kann man dort ja nicht rechnen", erläutert DRK-Sprecherin Svenja Koch. Wenn es nur das wäre. Aber die Helfer sind auf alles vorbereitet. Gerade werden Spanngurte an einer Palette mit Kisten gelöst, die durch rot-weiße Flatterbänder gekennzeichnet sind. "Die packen wir vor Ort zuerst aus. Denn diese Kisten lassen sich schnell zu Tischen und Schränken umbauen", sagt Koch. Andere Behälter haben einen großen Farbaufdruck. Rot steht für Medikamente, grün bedeutet, dass darin die Bettenstation verpackt ist. Die mobile Klinik kostet rund eine halbe Million Euro und besteht aus elf Zelten mit Feldlabor, Küche, eigener Wasser- und Stromversorgung sowie einer Mutter-und-Kind-Station für Geburten. Die Helfer fragen nicht, ob die Menschen wegen des Erdbebens zur Behandlung kommen oder wegen ganz normaler Gesundheitsprobleme.In der riesigen Halle am Terminal D, die dem DRK als Logistikzentrum dient, lagern derweil noch ein komplettes Krankenhaus mit der Kapazität eines deutschen Kreiskrankenhauses sowie Trinkwasseraufbereitungssysteme und mobile Unterkünfte für Helfer. Joachim Müller will nicht ausschließen, dass auch davon noch Material in Haiti zum Einsatz kommt. Im Augenblick steht aber sogar noch in den Sternen, wohin die erste DRK-Hilfslieferung genau gebracht wird. "Wir wissen zwar, von wo wir starten, aber nicht, wo wir landen", zuckt Helfer Müller etwas hilflos mit den Schultern. Weil der Flughafen in der Hauptstadt Port-au-Prince hoffnungslos überlastet ist, kommt auch Santo Domingo in der benachbarten Dominikanischen Republik für eine Landung in Betracht. Von dort sind es etwa 370 Kilometer Landweg bis Port-au-Prince. In einem solchen Fall bliebe nur ein Vorauskommando, denn das Hilfsmaterial lässt sich unmöglich auf nur drei Geländewagen mit Allradantrieb verteilen, die ebenfalls zur Fracht der Iljushin 76 gehören. Auf diese Weise gerät die Hilfe aber noch viel stärker zu einem Wettlauf mit der Zeit. "Wenn die Menschen nicht sehr bald mit Lebensmitteln und Medizin versorgt werden", könnte die Situation eskalieren", befürchtet Johann Keppeler. Der gelernte Elektromonteur aus Bayern war bereits vor zwei Jahren Katastrophenhelfer in Haiti. Damals hatten mehrere Hurrikans für chaotische Zuständen gesorgt. Allerdings nahm die internationale Öffentlichkeit kaum Notiz davon. DRK-Sprecherin Koch erinnert sich, dass seinerzeit gerade einmal 30 000 Euro Spenden für die Nothilfe eingegangen waren. Allein der Lufttransport einer mobilen Krankenstation nach Haiti kostet aber schon mindestens 200 000 Euro. Nach rund drei Stunden sind alle Kisten in der Iljushin verstaut. Heute morgen Punkt sieben Uhr soll sie starten. Nach Auskunft des saarländischen Innenministeriums sind bislang noch keine Helfer von THW oder DRK aus dem Saarland nach Haiti aufgebrochen. Der THW-Länderverband Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland hat inzwischen drei Teams in das Katastrophengebiet entsandt, weitere "Einsatzoptionen" würden derzeit geprüft. Denkbar sei, dass dann auch Spezialisten aus dem Saarland nach Haiti fliegen.Port-au-Prince/Hamburg. Drei Tage nach der Erdbebenkatastrophe hat in Haiti der Kampf ums nackte Überleben begonnen. In der Hauptstadt Port-au-Prince gab es am Freitag noch immer kaum sauberes Trinkwasser oder Nahrung. Aufgebrachte Überlebende türmten aus Protest gegen die Zustände hunderte Leichen zu Barrikaden auf. Die Vereinten Nationen berichteten von ersten Plünderungen in einem Lagerhaus für Hilfslieferungen. "Drei Tage und noch immer keine Hilfe. Ich verstehe einfach nicht, was da los ist", sagte ein verzweifelter Mann im Fernsehen und blickte zum Himmel.Um die Masse der Verletzten medizinisch versorgen zu können, wollen die Vereinten Nationen das nationale Fußballstadion des Landes in ein Lazarett verwandeln. Höchste Eile sei geboten: "Viele Überlebende haben schwerste Verletzungen, komplizierte Brüche und zerschmetterte Gliedmaßen." Für viele Verschüttete dürfte die dreitägige Verzögerung bereits den Tod bedeuten. Ein Mensch kann nur etwa drei Tage ohne Trinken überleben. In Haiti herrschen Tagestemperaturen um 30 Grad. Noch immer graben die Menschen mit bloßen Händen in den Trümmern nach Überlebenden. Bereits die dritte Nacht in Folge verbrachten die meisten Einwohner von Port-au-Prince im Freien - aus Angst vor Nachbeben oder weil ihre Häuser zerstört sind. Rudolf Seiters, der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, sagte, er gehe davon aus, dass die Schätzungen von 50 000 Toten zutreffend seien. Über das Schicksal der etwa 100 Deutschen in Haiti war nur wenig bekannt. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, eine Gruppe von sechs Bundesbürgern sei zurück nach Deutschland geflogen. dpa Wir wissen zwar, von wo wir starten, aber nicht, wo wir landen."Joachim Müller, Leiter DRK-Katastrophen-Management

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