Droht dem Eichhörnchen Gefahr?

Berlin · Anders als in Großbritannien sind in Deutschland die heimischen Eichhörnchen noch nicht vom Grauhörnchen bedroht. Experten glauben aber, dass sich das in den nächsten Jahrzehnten ändern könnte.

Die Ohrpuscheln machen den Unterschied. Sie nämlich unterscheiden das heimische Eichhörnchen von seinem Ohrpuschel-freien Verwandten aus Nordamerika, dem Grauhörnchen. Und das sorgt auf den britischen Inseln seit Längerem für Probleme: Etwas größer, robuster und von wenig Fressfeinden bedroht, verdrängt es dort das Eichhörnchen. Und indirekt rückt es ihm nun sogar in Deutschland auf den Pelz: Denn manche Eichhörnchenfreunde oder Gartenbesitzer verjagen und bekämpfen heimische Hörnchen grauer oder dunklerer Färbung - weil sie sie mit den forschen Grauhörnchen verwechseln.

"Dabei können beide Arten in einem funktionierenden, ausreichend großen Biotop durchaus nebeneinander existieren", sagt Anja Sorges vom Nabu Berlin . Ganz anders als in England und Norditalien sind Grauhörnchen in Deutschland bisher offiziell nicht nachgewiesen worden. Die hiesigen Wälder sind also reine Eichhörnchen-Zonen und auch in den Städten haben sie sich längst eingerichtet. Akute Gefahr für die kleinen Nagetiere besteht somit nicht, auch weil sie geschützt sind und in Kontinentaleuropa eine stabile Population haben.

In den nächsten Jahrzehnten könnte sich dies aber ändern. "Es ist zu erwarten, dass Grauhörnchen, die in Norditalien ausgesetzt wurden, mittelfristig die Alpengrenze überschreiten", sagt Eichhörnchenexperte Stefan Bosch. Er schätzt, dass Grauhörnchen die Eichhörnchen dann in die Nadelwälder verdrängen. "Es könnte sein, dass wir dann irgendwann in den Bayrischen Wald oder den Schwarzwald fahren müssen, um Eichhörnchen zu sehen."

Auf der Skala der beliebten Tiere stehen sie zumindest ganz weit vorn. Kein Wunder: Sie sehen putzig aus, verfügen über beeindruckende Kletterkünste, machen Männchen und bedienen auch als ausgewachsene Tiere das Kindchenschema. "Doch was viele Menschen vergessen: Sie sind Wildtiere", betont Anja Sorges. Weil vor allem Städter die Tierchen gerne "vermenschlichten", könne es auch zu skurrilen Szenen kommen. So wie vor wenigen Tagen: Eine Frau ruft die Polizei , weil sie von einem Eichhörnchen verfolgt wird, das ihr partout nicht mehr von der Seite weicht. "Es ist gut möglich, dass dieses Eichhörnchen von einem Menschen aufgezogen wurde", schätzt Sorges.

In vielen Bundesländern und Großstädten gibt es Eichhörnchen-Notrufe und -Hilfsvereine. Dort kann man anrufen, wenn man ein verletztes Tier findet. In Eckernförde etwa, wo ein Eichhörnchen das Stadtwappen ziert, werden im Eichhörnchen-Zentrum verletzte, verwaiste und kranke Tiere aufgepäppelt und dann wieder freigelassen. In Berlin steht die Aktion Tier-Eichhörnchenhilfe mit Infos zur Ersthilfe bereit - und initiierte unter anderem auch den Bau einer Eichhörnchen-Seilbrücke über eine viel befahrene Straße. "Das hat sich bewährt", sagt Tanya Lenn, die schon mehr als 1200 Eichhörnchen versorgte. Aber auch sie räumt ein, dass es manchen Findern schwerfällt, die Hörnchen wieder in Freiheit zu entlassen.

Experte Bosch sieht solche Aktionen mit gemischten Gefühlen. "Hilfestellungen wie Eichhörnchen-Brücken über befahrene Straßen mögen durchaus Sinn machen. Verletzte Jungtiere aufzupäppeln, hilft den Eichhörnchen aber weniger - vor allem, weil sie doch oft schwer wieder auszuwildern sind und ihnen für das Überleben in der freien Wildbahn wertvolle Fähigkeiten fehlen." Ein Wildtier ist eben kein Stofftier, auch wenn es so aussieht.

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