Die Schatten der Vergangenheit

Wien · Acht Jahre lang wurde Natascha Kampusch in einem Verlies gefangen gehalten, geschlagen und missbraucht. Doch das Leben nach ihrer Flucht ist schwieriger als gedacht. Jetzt hat sie noch einmal über die Erlebnisse von damals gesprochen.

 Die Wienerin Natascha Kampusch wurde als Kind entführt und eingesperrt. Foto:dpa

Die Wienerin Natascha Kampusch wurde als Kind entführt und eingesperrt. Foto:dpa

Nach der Entführung kam der Medienrummel. "So richtig frei war ich in den vergangenen zehn Jahren nur in wenigen Momenten", sagte Natascha Kampusch am Montagabend im ORF-Fernsehen. 1998 war Kampusch auf ihrem Schulweg in Wien entführt worden; da war sie zehn Jahre alt. Der gelernte Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil hielt sie acht Jahre lang auf kleinstem Raum in einem Kellerverlies gefangen. Nun ist Kampusch 28 Jahre alt, ihre Flucht liegt zehn Jahre zurück. Sie sei bereit für einen neuen Lebensabschnitt, sagte sie: "Jetzt beginnt erst die Phase, wo ich wirklich versuche, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen." Besonders schwierig seien Anfeindungen auf offener Straße gewesen. Das Gerücht, sie habe während ihrer Gefangenschaft ein Kind bekommen und es getötet, hielt sich hartnäckig. "Aber was hätte ich denn davon zu lügen?", fragte Kampusch. Eine ältere Frau habe sie deshalb einmal in aller Öffentlichkeit versucht zu schlagen. In das Haus ihrer Gefangenschaft kehrt sie alle zwei Monate zurück, um nach dem Rechten zu sehen. Es wurde ihr als Entschädigung zugesprochen. Sie bezeichnete es selbst als Fluch. "Es geht mir meistens schlecht, wenn ich hierher komme", sagte Kampusch. Trotzdem habe sie fast nichts an der Einrichtung verändert, um das Geschehene besser zu verarbeiten. Einzig das Kellerverlies musste sie auf eigene Kosten nach behördlichen Vorgaben zuschütten lassen. Zuletzt überlegte sie, das Haus im niederösterreichischen Strasshof in der Nähe von Wien einer Flüchtlingsfamilie zur Verfügung zu stellen. Das sei bislang aber an der Bürokratie gescheitert. Zudem gab Kampusch erneut Einblick in die Psyche ihres Peinigers: Priklopil habe sie sogar mit falschen Dokumenten heiraten wollen: "Ja, das war sein Plan. Er hat wohl gedacht, dass er das irgendwie vertuschen kann, sein Verbrechen."

Heute nimmt Kampusch Gesangs- und Reitunterricht und stellt Schmuck her. Ihr Abitur will sie nachholen. Im August erscheint ihr zweites Buch. Für eine Liebe sei sie offen: "Ich denke, dass ich ein Mensch bin, der beziehungsfähig ist." Aber es sei schwierig, neue Freunde kennenzulernen ohne den Schatten ihrer Vergangenheit.

Die Wiener Oberstaatsanwaltschaft prüft unterdessen weiterhin eine Anzeige zu den Todesumständen des Entführers, wie ein Sprecher gestern bestätigte.

Der Bruder des damaligen Chefermittlers hatte im Februar Anzeige erstattet. Er habe den Verdacht, dass der Entführer keinen Selbstmord begangen habe, sondern ermordet worden sei. Priklopil war im August 2006 wenige Stunden nach der Flucht der damals 18-jährigen Kampusch von einem Zug überfahren worden.

Es gibt Spekulationen, der damals 44-Jährige könnte tot auf die Gleise gelegt worden sein. Die Polizei äußerte in ihrem Abschlussbericht 2013 aber keinen Zweifel daran, dass sich der Entführer selbst das Leben nahm.

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