Die Lüge vom Weihnachtsmann

Berlin · Eltern tischen ihren Kindern jahrelang Märchen vom Nikolaus oder Christkind auf. Die bringen an Heiligabend reiche Gaben. Kommt der Nachwuchs dem faulen Budenzauber auf die Schliche, regiert das Misstrauen in den Familien. Wissenschaftler raten zur Gelassenheit.

 Alte Klamotte: Eltern gaukeln ihre Kinder immer wieder im Weihnachtsmann-Kostüm eine heile Welt vor. Foto: Fotolia

Alte Klamotte: Eltern gaukeln ihre Kinder immer wieder im Weihnachtsmann-Kostüm eine heile Welt vor. Foto: Fotolia

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Tausende Kinder in Deutschland fiebern in diesen Tagen Heiligabend entgegen. Sie schreiben Wunschzettel, zählen die Tage bis zur Bescherung. Je nach Region glauben sie, dass der Weihnachtsmann oder das Christkind Geschenke bringt und unbemerkt wieder verschwindet. Den Glauben an die Existenz dieser Figuren vermitteln wohl die meisten Eltern ohne langes Grübeln. Die Weihnachtsmann-Mär könne das Vertrauen zwischen Eltern und Kindern in Mitleidenschaft ziehen, gaben kürzlich zwei Forscher im Fachblatt "The Lancet Psychiatry" zu bedenken. Dass die Lüge auffliegt, lasse sich nicht verhindern "Kinder finden alle irgendwann heraus, dass ihre Eltern unverfroren über Jahre hinweg eine Lüge aufrecht erhalten haben", schreiben Christopher Boyle von der Universität Exeter (Großbritannien) und Kathy McKay von der Universität New England (Australien).

Boyle und McKay zufolge stehen Kinder in solchen Situationen vor gleich mehreren Fragen: Wenn die Geschichte mit dem Weihnachtsmann erlogen war, wo haben Mama und Papa dann noch die Unwahrheit gesagt? Feen, Zauberei, selbst Gott geraten ins Wanken. Die beiden Wissenschaftler argumentieren nicht mit erhobenem Zeigefinger. Sie erinnern sich auch an die eigene Kindheit und die große Enttäuschung, als die Illusion vom "Santa" zerplatzte: "Der Zauber war gebrochen. Vorbei war es mit der Realitätsflucht, die Kinder und Erwachsene für ein paar Monate teilen."

Aber ist das Lügen wirklich schädlich für Kinder? "Die Geschichte vom Weihnachtsmann ist für kleine Kinder eher eine Bereicherung", ist der Berliner Psychologe Peter Walschburger überzeugt. Grundsätzlich sieht er in Mythen, Märchen und Ritualen einen wohltuenden Gegenpol zur ansonsten rationalen Welterklärung. "Wir Menschen brauchen beides: aufgeklärtes Denken und Verzauberungen." Lügen in dieser Hinsicht haben eine lange Tradition: Mit Verzauberungen der Realität hätten Menschen seit jeher zum Beispiel Heimatgefühl, Sicherheit, Trost und soziale Verbundenheit sinnlich erfahrbar gemacht.

Auch moralische Standards wie Gut und Böse werden Kindern oft so vermittelt. Bis zum vierten Lebensjahr könnten sie noch nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden, erläutert der Wissenschaftler. Erst danach seien sie in der Lage, die Perspektiven anderer Menschen zu verstehen. Dann verhielten sie sich zunehmend kritisch gegenüber ihren Eltern . Wenn Kinder Ungereimtheiten wie angeblich fliegenden Rentieren auf die Schliche kommen, sei das eine Gelegenheit zum Dialog, sagt Walschburger.

Für authentische Weihnachtsgeschichten anstelle von Lügen spricht sich Religionspädagoge Albert Biesinger aus: "Ich erzähle Kindern, dass wir an Weihnachten den Geburtstag von Jesus feiern. Das Geschenk fällt nicht vom Himmel, das bringt auch nicht das Christkind durchs Fenster. Das ist von Mama und Papa und anderen, die dich lieb haben."

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