Die „große Schuld“ des Michael P.

Traunstein · Es war eines der schwersten Zugunglücke in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Fahrdienstleiter von Bad Aibling räumt vor Gericht schwere Fehler ein. Er soll durch ein Handy spiel abgelenkt gewesen sein.

 Die Wucht des Aufpralls, mit der die Züge in Bad Aibling zusammenkrachten, lässt sich erahnen.

Die Wucht des Aufpralls, mit der die Züge in Bad Aibling zusammenkrachten, lässt sich erahnen.

Wer ist der Mann, der am verheerenden Zugunglück von Bad Aibling vor neun Monaten schuld sein soll? Wird er Reue zeigen? Wird er gestehen? Gespannt warten an diesem Donnerstagmorgen nicht nur Hinterbliebene der Opfer am Landgericht Traunstein auf den Prozessbeginn gegen den Fahrdienstleiter der Deutschen Bahn. Auch Unbeteiligte sitzen im Schwurgerichtssaal und wollen den Mann sehen, der nach Überzeugung der Anklage für den Tod von zwölf Männern und die teils lebensgefährlichen Verletzungen von 89 Zuginsassen am Faschingsdienstag verantwortlich sein soll. Damals waren zwei Meridian-Züge frontal zusammengestoßen. Seitdem war Michael P. von der Bildfläche verschwunden. Bis jetzt.

Als der 40-Jährige kurz nach 8.45 Uhr von seinen beiden Anwälten in den Sitzungssaal geführt wird, richten sich alle Blicke auf ihn. Mit der Kapuze seiner Jacke versucht der bärtige Mann beim Hereingehen, sein Gesicht teilweise zu verdecken. Ein Blitzlichtgewitter geht auf ihn nieder, als er auf der Anklagebank Platz nimmt. P. zieht die Kapuze weg. Jetzt können ihm alle ins Gesicht schauen.

Nach Verlesung der Anklageschrift steht der seit eineinhalb Jahren verheiratete Fahrdienstleiter auf und gibt eine persönliche Erklärung ab. Dabei wendet er sich direkt an die als Nebenkläger im Gericht sitzenden Angehörigen der Toten und die Verletzten: "Ich weiß, dass ich da am 9. Februar mir große Schuld aufgeladen habe." Seinen Fehler könne er nicht mehr rückgängig machen. "Ich möchte Ihnen sagen, dass ich in Gedanken bei Ihnen bin."

Seine Verteidigerin verliest dann das Geständnis ihres Mandanten, der seit 1999 den Zugverkehr in Stellwerken der Region um Bad Aibling regelt. In der Erklärung räumt der Angeklagte ein, ein Sondersignal gegeben zu haben, das er nicht hätte geben dürfen, und einen Notruf falsch abgesetzt zu haben. Mehr will er nicht sagen. Auch zur verbotenen Nutzung des Fantasy-Spiels "Dungeon Hunter 5" auf seinem Handy, wie es ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft, macht er keine direkten Angaben. Bei dem Spiel geht es um das Töten von Dämonen. Der Bahnmitarbeiter soll dadurch abgelenkt gewesen sein. Wie sehr, soll in sieben Verhandlungstagen geklärt werden. Seine Verteidiger erklären lediglich, dass er die ihm zur Last gelegten Vorwürfe einräumt. Dies kann als Geständnis auch mit Blick auf das Handy spiel verstanden werden. Ein Polizist berichtet später als Zeuge, dass der Angeklagte "nahezu jedes Mal im Dienst" spielte.

Das Verlesen der Anklageschrift dauert fast 20 Minuten. Oberstaatsanwalt Jürgen Branz trägt die Namen aller Todesopfer vor. Exakt listet er die Verletzungen der Überlebenden auf. "Beckenbruch, Schnittverletzungen am gesamten Körper und im Kopfbereich", heißt es etwa bei einem der Opfer. "Multiple Schnittwunden am Kopf, offene Unterschenkelfraktur links" bei einem anderen.

 Mit falschen Signalen brachte Bahnmitarbeiter Michael P. die Züge auf Kollisionskurs. Fotos: dpa

Mit falschen Signalen brachte Bahnmitarbeiter Michael P. die Züge auf Kollisionskurs. Fotos: dpa

Thomas Staudinger ist einer von ihnen. "Aufgeregt" sitzt er im Saal. Vom Unfall selbst hat der 23-Jährige nur die Notbremsung und den Aufprall mitbekommen. Und den Moment, in dem er wieder zu sich kam. "Ich konnte mich nicht bewegen." Er erlitt Prellungen, musste operiert werden. Schlafprobleme und die Angst vor Zügen begleiteten ihn monatelang. Groll gegen den Angeklagten hegt er keinen. "Ich glaube, es geht ihm nicht gut." Staudinger hofft auf ein gerechtes Urteil: "Der Mann ist genug gestraft." Sollte sich die Anklage durchsetzen, droht P. eine harte Strafe - bis zu fünf Jahre Gefängnis.

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