Die große Liebe wartet im Regal
Münster. Fotos, Freunde, Lieblingsbands: Auf Facebook stellen Millionen Menschen sich selbst und ihr Leben aus. Ben Gründel hat sein virtuelles Profil in die greifbare Realität zurückgeholt. Er hat sich dafür ein Regalbrett gemietet. In einem Laden in Münsters Szeneviertel kann das seit Herbst jeder tun - und auf dem Brett verkaufen, was er will
Münster. Fotos, Freunde, Lieblingsbands: Auf Facebook stellen Millionen Menschen sich selbst und ihr Leben aus. Ben Gründel hat sein virtuelles Profil in die greifbare Realität zurückgeholt. Er hat sich dafür ein Regalbrett gemietet. In einem Laden in Münsters Szeneviertel kann das seit Herbst jeder tun - und auf dem Brett verkaufen, was er will. Secondhand-Klamotten, selbstgemachte Ohrringe oder den ersten eigenen Roman.Gründel, angehender Lehramtsstudent, hatte einen anderen Grund, eine Ausstellung auf 4050 Quadratzentimetern zu basteln. Er wollte sein Single-Leben an den Nagel hängen und nutzte die Fläche zwei Wochen lang als Kontaktanzeige in 3D. Ein knallblaues T-Shirt mit einem Krümelmonster lag darauf, ein Foto von seinen Gitarren, ein Theaterplan und eine DVD, "Stolz und Vorurteil". Dazu seine Kontaktdaten - und eine Nummer, die zu einem Anrufbeantworter führte. "Da habe ich eine kleine Stimmprobe abgegeben", sagt der 27-Jährige.
Erst hätten ihn alle für verrückt gehalten, sich auf einem Regalbrett anzubieten, sagt er. Aber der Plan ist aufgegangen. 16 Frauen hat der dunkelhaarige junge Mann innerhalb von zwei Wochen kennengelernt. Mit der Hälfte hat er sich verabredet.
Die Traumfrau war bei Ben Gründels Dates nicht dabei, aber eine "supergute neue Freundin". Und über ein paar Ecken habe er dann doch noch jemand Besonderes kennen gelernt, erzählt er. Sein Regalbrett ist schließlich abgeräumt. Es ist eins von 150 im "Raum der Möglichkeiten". So nennt Erfinder Marc Raschke sein kurioses Geschäft "Myregalbrett".
Nichts nervt Raschke mehr als die Frage, ob sich der Laden denn überhaupt lohnt. "Immer geht es darum, ob sich etwas rentiert. Wo bleibt denn da der Idealismus?" Den will er auch bei den Menschen sehen, die in sein kleines Versuchslabor kommen. So um die 1000 sind das in der Woche, schätzt er. Die Hälfte kauft etwas. Aber das Finanzielle zählt für den 34-Jährigen letztlich auch nicht. Hauptsache, er kann die Kosten decken. Zwischen fünf und neun Euro kostet die Miete für ein Regal pro Woche.
"Man lernt so viele Menschen kennen; und Kontakte sind doch die Währung des 21. Jahrhunderts", sagt Raschke. Zum Beispiel die Fraudie jeden Tag vorbeischaut, um zu sehen, wie ihr Regal läuft. Oder das schüchterne Mädchen, das mit Tuschezeichnungen einen Verkaufsschlager gelandet hat.
Über jeden seiner Aussteller kann Marc Raschke eine Geschichte erzählen. Eine Oma bietet auf einem seiner Bretter Selbstgestricktes feil, um Geld für eine Delfintherapie für ihre Enkelin zusammenzubekommen. Ein Buchautor präsentiert sein Erstlingswerk. Nichts davon gibt es im Internet zu kaufen. Absichtlich: "Wir wollen die Dinge ja gerade wieder ins reale Leben zurückholen", sagt Raschke.