Die Frage nach dem Warum

Paris. "Wie war es möglich?" Das schwere Lawinenunglück vom Montblanc macht Jean-Louis Verdier, den stellvertretenden Bürgermeister von Chamonix, zum viel befragten Mann. Immer wieder muss der für Sicherheitsfragen zuständige Bergführer aus der französischen Alpenstadt die gleiche Reporterfrage beantworten

Paris. "Wie war es möglich?" Das schwere Lawinenunglück vom Montblanc macht Jean-Louis Verdier, den stellvertretenden Bürgermeister von Chamonix, zum viel befragten Mann. Immer wieder muss der für Sicherheitsfragen zuständige Bergführer aus der französischen Alpenstadt die gleiche Reporterfrage beantworten. Eine derart verhängnisvolle Lawine mitten im Sommer? Hätte die Katastrophe vermieden werden können? Er selbst sieht das Schicksal am Werk bei dem Unfall, der am Donnerstagmorgen in 4000 Metern Höhe neun Menschen - darunter drei Deutschen - den Tod brachte. Schlechtes Wetter oder fahrlässiges Verhalten schließt er weitgehend aus.Doch bei Fragen nach dem Massentourismus auf Europas höchstem Berg muss auch er zugeben: "Natürlich gibt es höhere Risiken, wenn viele Menschen im Berg sind." Jährlich sind es Tausende aus aller Welt, die sich den Traum der Ersteigung des Montblanc ermöglichen wollen. An manchen Tagen tummeln sich nach französischen Medienberichten bis zu 500 Menschen in dem Massiv.

"Heute machen sich viele an den Montblanc-Aufstieg à la carte, als ob sie zum Gummihüpfen gingen", kritisiert etwa Gael Bouqet des Chaux vom französischen Bergsteigerverband in einem Interview. Einen fünftägigen Schnupperkurs mit anschließender Montblanc-Besteigung gebe es schon für um die 1000 Euro. Als Voraussetzung wird in der Regel nur eine gute körperliche Verfassung gefordert, schrieb die Zeitung "Le Parisien".

Hat also der Massentourismus Mitschuld an dem Drama? Auch wenn es zum fraglichen Zeitpunkt kein Gedränge gegeben habe, meint Verdier: "Na klar: Wäre da niemand gewesen, wäre auch nicht die Eisplatte gebrochen." Die sei von den vielen Leuten strapaziert worden.

Die Eisplatte wird nach bisherigen Erkenntnissen als ursächlich angesehen für die Lawine, die gegen 5.15 Uhr über die Seilschaften hinwegrauschte. Eine andere Hypothese, die Staatsanwalt Pierre-Yves Michau ins Spiel brachte, ist die von einer Schneeschicht, die vom Wind aufgetürmt wurde. Unter dem Gewicht der Bergsteiger könnte sie ins Rutschen geraten sein. Er will die Frage nach der konkreten Ursache in den nächsten Wochen mit Hilfe von Lawinenexperten klären.

Unter den Toten ist nach Informationen der britischen BBC auch einer der erfahrensten britischen Bergsteiger, der als Bergführer arbeitende Roger Payne. Zwei von der Lawine erfasste Dänen kamen ebenso wie ihr Bergführer Daniel Rossetto mit leichten Verletzungen davon. Die Lawine sei plötzlich und "ohne Geräusch, nur mit einem Hauch" über die Gruppe hereingebrochen, sagte der 63-jährige Rossetto der Zeitung "Le Parisien" (Freitagausgabe). Er sei wie in einer Waschmaschinentrommel durchgeschleudert worden. Das Drama befeuert die Kritik am Massentourismus auf den alpinen Gipfeln ebenso wie auf Bergmassiven anderer Kontinente. "Die Natur wird degradiert zu einer Art Freizeitpark", kritisierte am Freitag der Abenteurer und Polarfahrer Arved Fuchs im ZDF-Morgenmagazin. Im Reisebüro könne man Expeditionen auf den Mount Everest und zum Nord- oder Südpol buchen, nicht aber die für solche Touren notwendigen Fähigkeiten. Allerdings betonte er, dass er im aktuellen Fall keine Rückschlüsse auf das Verhalten der Bergsteiger ziehen könne. Alles deute auch für ihn eher auf ein Unglück hin.

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