Der Raub des Jahrhunderts

London · Es war der ganz große Coup, faszinierend für Beobachter, peinlich für Scotland Yard: Vor 50 Jahren erbeuteten Posträuber umgerechnet 52 Millionen Euro. Vor allem einer der Gangster wurde weltberühmt.

Die erste Nachricht vom Raub des Jahrhunderts kam am 8. August 1963 morgens um 4.30 Uhr aus dem Funkgerät eines Streifenwagens: "Ihr werdet es nicht glauben - aber sie haben gerade einen Zug gestohlen!" Neunzig Minuten zuvor musste der nächtliche Postzug von Glasgow nach London wegen eines von den Räubern auf Rot gestellten Signals anhalten. Im Zug befanden sich 120 Säcke mit gebrauchten Geldscheinen. Die Beute, umgerechnet auf den heutigen Wert: 52 Millionen Euro. Angeführt von "Major" Bruce Reynolds stürmten fünfzehn maskierte Männer den Zug und luden die Säcke von einer Brücke in einen bereitstehenden Lastwagen. Sie hatten den Lokomotivführer mit einer Brechstange schwer verletzt. Scotland Yard leitete sofort eine Großfahndung ein und sprach anerkennend von "generalstabsmäßiger Planung und präziser Ausführung".

Erst am fünften Tag nach dem Überfall entdeckte die Polizei 30 Kilometer vom Tatort entfernt den Bauernhof, in dem die Beute verteilt wurde. Gefunden wurden zwar nur leere Geldsäcke, aber auch eine Menge Fingerabdrücke - weil ein Bandenmitglied versäumt hatte, die Räuberhöhle wie geplant anzuzünden.

Die meisten der Gangster wurden schnell verhaftet und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Zwei von ihnen gelang jedoch die Flucht aus der Haft, was die Legende weiter nährte. Einer der Flüchtigen war Ronnie Biggs, der in der Bande nur eine untergeordnete Rolle hatte, aber durch die Art und Weise, wie er der britischen Justiz jahrzehntelang ein Schnippchen schlug, weltberühmt wurde. Nach nur 15 Monaten Zuchthaus seilte er sich 1965 über die Gefängnismauer ab und floh. Von seinem Beuteanteil finanzierte Biggs eine Gesichtsveränderung und lebte danach in Australien, bis er sich über Panama und Bolivien 1970 nach Rio de Janeiro absetzte. 1996 kam ein Auslieferungsabkommen zwischen Brasilien und Großbritannien zustande. Doch das höchste Gericht in Rio lehnte die Auslieferung des Millionenräubers ab.

Den Coup versilbert

Biggs hielt weiter Hof für Journalisten aus aller Welt, denen er "Exklusivinterviews" verkaufte. Weitere Einnahmen für den von Sex, Sonne und Sekt bestimmten Lebensstil flossen dank seiner Memoiren und Werbeauftritten. Das erhöhte noch seinen Ruhm als britischer Exzentriker, der der Autorität eine lange Nase macht. Was die Mühlen der Justiz nicht schafften, erreichte schließlich das britische Gesundheitswesen: Eine Reihe von Schlaganfällen lähmten Biggs' Glieder und Stimme. Dazu kamen finanzielle Sorgen. Biggs fürchtete nicht mehr eine englische Zelle, sondern hoffte auf die Pflege, die er in seinem Exil nicht bezahlen konnte. 2001 kehrte er freiwillig nach Großbritannien zurück und wurde dort prompt verhaftet, um den Rest seiner Strafe abzusitzen. Erst acht Jahre später wurde er wegen seines schlechten Gesundheitszustandes und hohen Alters entlassen und lebt seitdem in einem Pflegeheim.

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