Der Privat-Krieg des Herrn K.

Würzburg · Fünf Jahre war er ein Phantom. Mysteriöse Schüsse auf deutschen Autobahnen hielten Ermittler in Atem. Bis das BKA dem Rachefeldzug eines Fernfahrers auf die Spur kam.

Er wähnte sich in einem Krieg auf der Autobahn: Über 700 Schüsse hat Michael Harry K., ein 58 Jahre alter Kraftfahrer, in seinem jahrelangen Feldzug auf Lastwagen und Autos abgegeben. Nur durch Zufall kam niemand zu Tode. In diesem einzigartigen Fall deutscher Kriminalgeschichte beginnt heute vor dem Landgericht Würzburg der Prozess. Dem in der DDR aufgewachsenen und in Kall (Eifel) lebenden Mann droht lebenslange Haft. Er ist wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, unerlaubten Führens von Waffen, Sachbeschädigung und gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr angeklagt.

Die Staatsanwaltschaft hat ein psychiatrisches Gutachten zur Schuldfähigkeit des Angeklagten in Auftrag gegeben, zu Ergebnissen wollte das Gericht nichts sagen. Als "frustierten Einzelgänger" beschrieb die Staatsanwaltschaft K., als dieser am 23. Juni 2013 festgenommen worden war.

Der gelernte Dreher soll spätestens ab 2009 auf Fahrten für seine Spedition auf andere Fahrzeuge geschossen haben. Die Waffen versteckte er im leeren Airbagfach seines Führerhauses oder in einem Kühlfach neben dem Fahrersitz. K. schoss den Ermittlungen nach mehr oder minder freihändig, sowohl auf den Gegenverkehr auf der Autobahn als auch auf Fahrzeuge, die in seiner Fahrtrichtung unterwegs waren. Die Schüsse galten nach seinem Geständnis dem Laderaum von Lastwagen. Teilweise feuerte er aber auch auf die Fahrer. Ob diese Schüsse Irrläufer waren, spielt für die Anklage keine Rolle: Sie hält K. vor, den Tod oder die Verletzung von Menschen billigend in Kauf genommen zu haben.

Das Motiv für diese Tatserie nannte der geständige Fernfahrer auch. Er sei bei einer seiner Fahrten selbst durch einen Autotransporter fast von der Straße abgedrängt worden. Danach wollte er anderen Lkw-Fahrern einen "Denkzettel" für ihren Fahrstil verpassen. Allerdings steigerte sich K. immer weiter in seine Selbstjustiz hinein. Zu Beginn feuerte er mit jeweils einem Schuss auf Autotransporter. Später dann mehrmals hintereinander. Außer Pistolen setzte er auch schießende Kugelschreiber ein.

Ein Ende seines Feldzugs hatte er offenbar nicht geplant: Ermittler entdeckten in einer Hecke seines Hauses versteckt mehrere hundert Schuss Munition. Neben mehreren Fahrern, an denen die Projektile knapp vorüber flogen, kam besonders knapp im November 2009 eine Frau auf der Autobahn A3 in Höhe der Rastanlage Würzburg-Süd mit dem Leben davon. Ein Schuss traf die Autofahrerin in den Hals und verletzte sie lebensgefährlich. Sie erholte sich glücklicherweise vollständig.

Mehrere Jahre verbreitete K. Angst und Schrecken auf den Strecken zwischen Köln, Frankfurt oder Nürnberg. Dem Kölner Kriminaldirektor Roland Küpper habe der Mann schlaflose Nächte bereitet. "Ich habe jeden Moment gedacht, gleich werde ich angerufen und dann heißt es: Es hat einen Toten gegeben." Rache scheint die Triebfeder im Leben des Angeklagten gewesen zu sein. So wird heute noch eine zweite Anklage verlesen: Weil er sich selbst drei Nägel in den Reifen gefahren hatte, verteilte er von 2011 bis 2012 in der Umgebung seines Wohnorts 182 Mal Platten mit Nägeln auf der Straße. Zu einem schweren Unfall kam es am Ende nicht.

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