Der Papst im Visier der Mafia?

Rom · Papst Franziskus predigt Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Armut. Und immer häufiger auch Gesetzestreue. Zuletzt schimpfte er gegen Korruption und die „Göttin Schmiergeld“. Bei der Mafia macht er sich damit unbeliebt.

Nicola Gratteri ist einer der renommiertesten Staatsanwälte Italiens. Unter Personenschutz und bei höchsten Sicherheitsvorkehrungen ermittelt der 55-Jährige vor allem in Kalabrien. Es ist die Region im Süden des Landes, in der die 'Ndrangheta herrscht. Sie gilt als eine der weltweit gefährlichsten und mächtigsten Verbrecherorganisationen mit jährlich mehr als 40 Milliarden Euro Umsatz, vor allem aus Drogen- und Waffengeschäften. Gratteri ist sich sicher, die Mafia habe es nun auch auf den Papst abgesehen. "Wenn die Bosse ihm ein Bein stellen könnten, werden sie nicht zögern", sagte Gratteri im Interview mit der Zeitung "Il Fatto Quotidiano".

Franziskus habe sich den Zorn der Mafia zugezogen, weil er "wirtschaftliche Finanzzentren im Vatikan" demontiere. Der Papst kämpfe gegen Luxus und Korruption, sei glaubwürdig und wolle "überall aufräumen". Nicht nur der öffentliche Konfrontations-Kurs des Papstes schreckt offenbar die Bosse ab. Sie bangen laut Gratteri um ihre Pfründe im Geschäft mit der Kirche. Vor allem die Vatikanbank IOR war immer wieder mit Geldwäsche und der Mafia in Verbindung gebracht worden.

Franziskus geht den von Papst Benedikt eingeschlagenen Weg zu mehr Transparenz in der Vatikanbank noch entschlossener. Er ließ die Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung im Vatikan verschärfen, stärkte die interne Finanzaufsicht und setzte mehrere Reformkommissionen ein. Zuletzt verschickte die Vatikanbank einen Fragebogen an ihre Kunden und forderte sie zu Angaben über die Herkunft ihrer Gelder auf. Etwa 1000 Konten sollten geschlossen werden. Zudem räumt der Papst im Vatikan nach und nach beim Personal auf. Kenner loben seine Neubesetzungen. Der Vatikanjournalist Marco Politi ist sicher, dass Franziskus immer mehr zum Hindernis für viele undurchsichtige Geschäfte wird. Er behauptet: "Die Unterwelt ist nervös. Franziskus soll gebremst und neutralisiert werden."

Von konkreten Anschlagsplänen gegen den Papst ist jedoch nicht die Rede. Staatsanwalt Gratteri sagte: "Ich weiß nicht, ob die Organisierte Kriminalität im Stande ist, etwas zu machen, aber sie überlegt das gewiss. Das kann gefährlich sein." Der Papst ist von Schweizer Garde, Vatikan-Gendarmerie, seinen Leibwächtern und moderner Sicherheitstechnologie geschützt. Bekannt ist aber auch, dass Franziskus gerne die Sicherheitsvorkehrungen seiner Bewacher ignoriert, um mit Gläubigen in direkten Kontakt zu kommen. Die Gegner des Papstes in den Reihen der Organisierten Kriminalität sind dabei nicht die alten, mordenden Bosse. Die "Finanzmafia" habe den Papst zum Ziel auserkoren, glaubt Gratteri. Er meint damit die Geschäftsleute, die unter dem Schutzmantel legaler Strukturen und Banken illegale Operationen wie Geldwäsche durchführen.

Mafia und Kirche gingen in Kalabrien Hand in Hand, behauptet Gratteri, der gerade ein Buch zum Verhältnis zwischen Klerus und 'Ndrangehta vorstellt. Einige Priester seien regelmäßig bei den Bossen zum Kaffeetrinken zuhause. Die überwiegende Mehrheit der Mafiosi bezeichne sich selbst als "religiös". Der ehemalige Bischof von Locrì habe angesichts tausender Morde im kalabrischen Hinterland nie eine Miene verzogen. Er habe sich erst dann öffentlich gegen die Mafiosi gewendet, als sie den Obstgarten der Kirchengemeinde von Platì geplündert hätten.

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