Saarbrücker Gefängnispfarrer Der Mann, der gerne in den Knast geht
Saarbrücken · Als Gefängnispfarrer in der JVA Saarbrücken hat Peter Breuer täglich Kontakt zu Dieben und Mördern. Dennoch ist sein Alltag nicht von steter Trostlosigkeit geprägt. Der 67-Jährige hat erstaunliche Karrieren erlebt.
Ein Seelsorger hat für gewöhnlich offene Türen. Zumindest aber sollten Gläubige möglichst hindernisfrei zu ihm finden. Will man dagegen den katholischen Pfarrer Peter Breuer aufsuchen, muss man sich auf eine ungewohnte Prozedur einstellen: das Überwinden massiver Eisenzäune und schwer gesicherter, blickdichter Tore etwa, das eben nur mit autorisiertem Personal möglich ist. Auch an einer eingehenden Leibesvisite kommt der Besucher „von draußen“ nicht vorbei.
Peter Breuer selbst besitzt einen stattlichen Bund mit Sicherheitsschlüsseln, den er mit sich trägt, wenn er über Treppen und lange, sparsam beleuchtete Gänge sein Büro ansteuert. Im Knast sitzt freilich auch der Pastor hinter Gittern. Doch im Gegensatz zu den meisten Insassen ist für ihn die Welt dahinter offen. Eher spartanisch gehalten ist die Möblierung von Breuers zellengroßem Zimmer, das dennoch keineswegs trostlos wirkt: (Natur-)Bilder schmücken Wände, Postkarten mit humorvollen Sprüchen Regale und Schranktüren. Ein Uli-Stein-Fan ist Breuer, das fällt gleich ins Auge. Humor, den braucht man im Gefängnis, auch wenn das Lachen dort mitunter eher ein Kraftakt als befreiend ist. „Es gibt allerdings einige, die sagen: Hier wird mehr gelacht als draußen“, erzählt Breuer mit zartbitterem Lächeln.
Dass der gütig dreinblickende Theologe für viele Insassen hier ein Anker ist, kann man sich gut vorstellen – bodenständig, nicht abgehoben, aber zweifellos auch willensstark. Vielleicht trägt seine Biografie dazu bei: Die Theologie hatte Breuer in jungen Jahren keineswegs auf dem Schirm. Sein Elternhaus war „nicht sehr katholisch“, wie er sagt, auch wenn der Sonntagsgottesdienst als wichtig galt. Nach absolvierter Schlosserlehre bei der Dillinger Hütte arbeitete er ein halbes Jahr bei Ford, um danach für zwei Jahre bei der Bundeswehr zu dienen. Auf dem zweiten Bildungsweg machte er dann Abitur und studierte Theologie. Den Impuls dazu hatte offenbar eine kirchliche Gruppe gegeben, zu der er während seiner Ausbildung fand.1982 wurde Breuer in Trier zum Priester geweiht. Doch bis er zur Gefängnis-Seelsorge fand, sollten noch 20 Jahre ins Land gehen. Dazwischen wirkte er unter anderem rund acht Jahre als Jugendseelsorger in Neunkirchen und fast zehn Jahre als Gemeindepfarrer in Quierschied.
Dass es Zeit war für eine Veränderung – weg von der Erstarrung – das fühlte er irgendwann in den Exerzitien. Reife und Rüstzeug zu der komplexen, nicht selten auch belastenden Aufgabe als Gefängnis-Seelsorger hatte er inzwischen. Und es stand ihm der Sinn nach freierem Arbeiten, ganz nah am Menschen. „Ich habe auch gespürt, dass ich im Einzelseelsorgebereich mehr zu bieten habe“, erklärt Breuer.
Eine vakante Stelle in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken bot ihm 2002 „ein interessantes, aber schwieriges Feld“, wie er sagt. Denn „zwischen Dieb und Mörder liegen oft Welten, jeder bringt hier seine ganz eigene Geschichte mit“, sagt der inzwischen 67-Jährige. Die Konfessionen scheinen sich indes hinter Gittern zu relativieren – auch wenn verschiedene Seelsorger oder Religionsvertreter dort ihren Dienst verrichten. „Meine Kollegen und ich haben grundsätzlich freie Hand, hier jeden betreuen zu dürfen“, sagt Breuer. Wozu freilich auch Vollzugsbeamte und Angestellte gehören, die nicht selten verbale Angriffe oder gar gewaltsame Übergriffe verarbeiten müssen.
Wie aber kommt er selbst mit seinem Job klar? Und wie sehr muss man über sich hinauswachsen, auch Mördern oder Vergewaltigern Stütze und Hoffnung zu bieten? „Manchmal gehe auch ich sprichwörtlich am Stock“, bekennt Breuer. So vor allem wenn es sich um Sex-Verbrechen handelt. Der 2007 mit zwölf Freisprüchen beendete Prozess um den mutmaßlich ermordeten und spurlos verschwundenen fünfjährigen Pascal aus Burbach lässt ihn bis heute nicht los. Vor allem die Tatsache, dass niemand zur Rechenschaft gezogen werden konnte.
„Klar, ich muss jeden als Menschen und Gottes Geschöpf ansehen, egal was er getan hat“, sagt Breuer. Das Bibelsprüche-Klopfen liegt ihm fern, doch hält er sich selbst durchaus an Versen fest, wie etwa dem aus Hebräer 13,3: „Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen.“ Oder an Matthäus 25, wo es unter anderem heißt: „Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“ Ausgleich zum Knast findet Breuer unter anderem im Radfahren. Besonders im Sommer tritt er ausdauernd in die Pedale, dann kommt es ab und an gar vor, dass er den Weg von seiner Wohnung in Saarlouis zur JVA in Saarbrücken per Drahtesel bewältigt.
Trotz aller Abgründe, in die der Seelsorger schauen muss, gehe er immer wieder „gerne in den Knast“, wie er sagt. Denn nicht alles ist düster – auch wenn viele der Insassen nach ihrer Entlassung häufig wieder hinter Gittern landen. Einige hat Breuer schon fünf bis sechs Mal auf der Lerchesflur wiedergesehen. Nicht zuletzt habe daran allerdings auch die Gesellschaft einen Anteil, meint er, weil sie entlassenen Straftätern oft keine Chance gebe. „Die bekommen überall Steine in den Weg gelegt – angefangen beim Wohnen bis zur Arbeitsmöglichkeit.“ Viele seien allein durch die Prozesskosten hoch verschuldet, bekämen in Freiheit dann – wenn überhaupt – höchstens Hilfsarbeiterjobs, mit denen sie ihre finanziellen Belastungen nicht abtragen könnten. Das führe wiederum häufig zu erneuter Straffälligkeit – ein Teufelskreis. Ein relativ großer Teil werde rückfällig.
Dennoch ist das Gefängnis auch kein Ort permanenter Trostlosigkeit. Breuer hat hier schon erstaunliche Karrieren erlebt. Wie etwa einen „hochintelligenten jungen Mann“, dem er zu einer Schreinerausbildung geraten hatte, die dieser am Ende dann mit „sehr gut“ abschloss. „Er sprach drei oder vier Fremdsprachen und bekam dann in einem großen Konzern eine Stelle. Er kehrte nie wieder ins Gefängnis zurück.“ Ein anderer habe sogar Theologie im Fernkurs studiert und dann als Krankenhausseelsorger gearbeitet. Breuer selbst unterstützte ihn im Studium. „Glückfälle mit Seltenheitswert“, gesteht der Geistliche, der von Kollegen wenig beneidet wird. „Deinen Job möchte ich nicht machen“, sagte einst der heutige Trierer Bischof Stephan Ackermann zu ihm. „Ich deinen auch nicht“, erwiderte Breuer, der ein bisschen stolz darauf ist, dass seine Gottesdienste, in denen ihm auch Häftlinge als Messdiener zur Seite stehen, häufig proppenvoll sind – während seine Kollegen über leere Kirchenbänke klagen.
Nächstes Jahr will Breuer in den Ruhestand gehen. Nach 16 Jahren im Knast – für einen Häftling hieße das mehr als lebenslänglich.