Nachwirkungen bis heute Das Ende des Adelsstands vor 100 Jahren

Berlin · Bis 1919 besaß der Adel in Deutschland eigene Titel und Privilegien. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese Sonderstellung offiziell abgeschafft.

 Gloria von Thurn und Taxis ist nur noch dem Namen nach eine Fürstin.

Gloria von Thurn und Taxis ist nur noch dem Namen nach eine Fürstin.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Die Titel und Namen klingen einfach gut. Prinz William, Prinzessin Victoria, Fürstin Gloria oder Prinz Ernst August. In der Reihe gibt es aber zwei Fehler. Während William und Victoria in ihren Ländern Großbritannien und Schweden tatsächlich Prinz und Prinzessin sind und dem Hochadel angehören, gilt das für Gloria von Thurn und Taxis und Ernst August von Hannover keineswegs. Weder sind sie eine echte Fürstin beziehungsweise ein echter Prinz. Noch sind sie im strengen Sinn überhaupt Adlige.

Vor 100 Jahren, mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung am 14. August 1919, wurden die Vorrechte und Titel des Adels abgeschafft. Juristisch gibt es seitdem keinen deutschen Adelsstand mehr. Die früheren Adligen und ihre Nachkommen sind bürgerliche Menschen wie alle anderen auch. Ein Privileg ließ man ihnen allerdings vor 100 Jahren: Die Mitglieder der Adelsfamilien durften den alten Titel als Bestandteil des bürgerlichen Namens und auch das „von“ behalten.

Der Unterschied zu früher ist aber bedeutend. Ein Adliger trägt einen Titel, auf den der Vorname folgt: Prinz Charles oder Prinz Harry. Bei den deutschen Nachkommen des Adels gehört das Wort „Prinz“ nur zum Nachnamen dazu. Vorname: Ernst August, Nachname: Prinz von Hannover. Charles ist ein Prinz. Ernst August heißt nur so.

Manche der geschätzt 80 000 Mitglieder der alten Adelsfamilien stufen sich trotzdem immer noch als hervorgehoben ein. Die Vereinigung der Deutschen Adelsverbände (VdDA) hält daran fest, dass Menschen unterschieden werden in Gruppen mit und ohne „von“ im Namen. Orientiert wird sich am „historischen Adelsrecht“ – obwohl das nicht mehr existiert.

„Das Adelsrecht von 1918 wird als verbindlich für die Zugehörigkeit zum Adel angesehen“, sagt Henning von Kopp-Colomb (81), der beim VdDA für Namens-Streitfälle zuständig ist. „In der Weimarer Verfassung ist ja nicht der Adel abgeschafft worden, sondern nur ihre öffentlich-rechtlichen Vorrechte“, sagt von Kopp-Colomb. Tatsächlich war 1919 bei der Ausarbeitung der Verfassung auch die Formulierung „Der Adel ist abgeschafft“ im Gespräch. Sie fand aber keine Mehrheit. Anders in Österreich, dort übernahm man den Satz.

Überhaupt habe sich in Deutschland für den niederen Adel 1919 nicht viel geändert, sagt von Kopp-Colomb. Vor allem königliche und andere hochgestellte Fürstenhäuser hätten Besitz und Privilegien verloren. Das zeigen aktuell die Verhandlungen, die das einstige Preußenhaus der Hohenzollern um den Ur-Ur-Enkel des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. mit Bund und Ländern über die Rückgabe von Gemälden, historischen Zeugnissen und wertvollen Dokumenten führt.

Von Kopp-Colomb betont: „Heutzutage kann Adel eher Pflichten bedeuten als Rechte.“ Das sehen Kritiker völlig anders. Zuletzt forderte die Berliner Jugendorganisation der SPD die Streichung der adligen Namenszusätze. Erfolgreich waren sie damit nicht. Annika Klose, Berliner Juso-Vorsitzende, hält das Thema weiterhin für aktuell. „De jure gibt es den Adel seit 100 Jahren nicht mehr. Aber die alten Namen sorgen immer noch für Privilegien, bei Bewerbungen und Posten im diplomatischen Dienst oder Unternehmensberatungen“, sagt sie. „Es ist Zeit, sich auch von diesen Namen zu verabschieden.“

Überhaupt sei der positive Blick auf den Adel kaum zu verstehen. „Wenn man sich die Geschichte des Adels in Militär und Diplomatie ansieht und die Abfolge der Kriege bis hin zum Ersten Weltkrieg bedenkt, ist das doch erschütternd“, kritisiert Klose. Trotzdem würden „dubiose Adelsverbände“ sich als etwas Besonderes inszenieren. „Warum führt unsere Forderung nach der Abschaffung der Namenszusätze eigentlich zu so viel Widerspruch, wenn es doch angeblich keine Vorteile mehr gibt? Das ist schon verwunderlich. Offenbar will man da einiges lieber nicht zugeben.“

Von Kopp-Colomb räumt ein, dass die adligen Namen begehrt seien. Der derzeitige Trend: Heiratet eine Frau mit einem adligen Namen einen Mann bürgerlicher Herkunft, entscheidet sich das Paar meist für den adligen Namen als Familiennamen. Das sei erst seit der Reform des Familienrechts in der Bundesrepublik in den 70er Jahren möglich. Der adlige Name der Mutter geht so auf die Kinder über.

Historisch wurde der Adelstitel in Deutschland aber nur über die Männer übertragen. Das heißt, Ehemann und Kinder gehören nach den Vorstellungen der Adelsverbände nicht zu den wahren Adelskreisen, auch wenn sie den Namen der Frau tragen. Es gehe dabei um die Abgrenzung zum „historischen Adel“, so von Kopp-Colomb. Die adligen Namen würden sich derzeit „vervielfältigen“. Er sagt es mit Bedauern.

(dpa)
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