Corona-Krise Die USA und die Angst vor dem Hunger

Washington · In der Corona-Krise sind Millionen mit neuer Armut konfrontiert. Es gibt einen Massenansturm auf kostenlose Lebensmittel.

 Auch in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania holen die Menschen massenweise Lebensmittelpakete aus einer sogenannten „Food Bank“ – einer Essensausgabe für Bedürftige.

Auch in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania holen die Menschen massenweise Lebensmittelpakete aus einer sogenannten „Food Bank“ – einer Essensausgabe für Bedürftige.

Foto: dpa/Gene J. Puskar

Es sind Bilder aus amerikanischen Städten, die bis vor kurzem noch als unvorstellbar galten. Tausende von Autos warten stundenlangen vor den sogenannten „Food Banks“, wo es kostenlose Lebensmittel für Bedürftige gibt. Im kalifornischen Anaheim reichten die Schlangen letzte Woche einen Kilometer weit. In San Antonio (Texas) harrten kürzlich zehntausend Bürger vor dem „Drive through“ der örtlichen Ausgabestelle aus. Rund 120 000 Menschen holten dort in den vergangenen sieben Tagen Beutel mit Gemüse, Konserven, Wurst und Getränken ab – eine historische Rekordzahl. Die Szenen erinnern an die Fotos während der „Großen Depression“ von 1929 bis 1933, als die Weltmacht unter einer Arbeitslosigkeit von 25 Prozent und Millionen hungernden Bürgern litt.

Droht der Industrienation USA nun durch die Coronavirus-Krise eine erneute Hungersnot? In nur drei Wochen haben sich mehr als 16 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Die Anrufe bei „Food Hotlines“, die Hinweise auf Hilfsmöglichkeiten geben sollen, haben sich verzehnfacht. Hamsterkäufe in den Supermärkten führten gleichzeitig dazu, dass die Lebensmittel-Spenden an die „Food Banks“ massiv zurückgegangen sind. Gleichzeitig drohen Versorgungsengpässe quer durch alle Branchen. Der Smithfield-Konzern, einer der größten Fleischverarbeiter der USA, musste nach 200 Coronavirus-Fällen seinen größten Schlachthof im Bundesstaat South Dakota schließen. Und Farmer quer durchs Land verlieren ihre Ernte, weil die Feldarbeiter ausgeblieben sind. Die Organisation „Feeding America“, die sich der Hungerbekämpfung in den USA widmet, erwartet in den kommenden Wochen bis zu 20 Millionen Menschen, die zusätzlich versorgt werden müssen. Gleichzeitig gehen den „Food Banks“ die freiwilligen Mitarbeiter aus Furcht vor einer Infizierung aus. Im Zockerparadies Las Vegas hat die größte Verteilorgansation deshalb beispielsweise trotz der enormen Nachfrage 170 von 180 Ausgabestellen schließen müssen.

Diese Kettenreaktion und eskalierende Lage haben dazu geführt, dass sich nun Arbeitslose verstärkt um Lebensmittel-Marken bewerben, die ihnen die Chance geben sollen, kostenlos Waren für den Grundbedarf in den Läden zu erhalten – wenn die Lebensmittel denn noch vorrätig sind. In Bundesstaaten wie Alabama oder Kalifornien verdreifachten sich die Online-Anfragen für diese „Food Stamps“ im März. Verschärft wird die Lage noch durch die Unfähigkeit der überforderten Behörden, zügig Unterstützungs-Anträge zu genehmigen und Zahlungen an die Job-Verlierer auf den Weg zu bringen.

Gleichzeitig versuchen immer mehr Bürger in Eigeninitiative, die Not anderer zu lindern. Zu ihnen zählt Cami Mallory aus dem Bundesstaat New Mexico. Die Hausfrau hat vier bedürftige Familien, die unter der durch die Pandemie verursachten Arbeitslosigkeit leiden, unter ihre Fittiche genommen – und sammelt durch eine Nachbarschafts-App erfolgreich Lebensmittelspenden ein. Ein Verfahren, das in den USA mittlerweile tausendfach dupliziert wird. „Sie warten verzweifelt auf unsere Lieferungen“, beschreibt Mallory die prekäre Lage für die Menschen, deren Schicksal fast immer identisch ist: den Job verloren, die staatlichen Zahlungen kommen nicht, das letzte Bargeld wurde für die März- oder April-Miete genutzt. Nun ist der Kühlschrank leer.

Für diese Bürger klingt es hohl und unehrlich, wenn Präsident Donald Trump – wie am Dienstag – vor Reportern damit prahlt: „Unsere Lebensmittel-Lage ist doch phänomenal. Die Versorgung ist die beste der Welt“. Nichts könnte ferner von der Realität entfernt sein.

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