Hochhaus-Brand in London Brand in London: Auf die Trauer folgt Wut

London · Anwohner und Angehörige fordern nun Antworten von Politikern.

Der Anblick des verkohlten, schwarzen Gerippes lässt einen erschaudern. Der Grenfell Tower in West-London ragt nach dem verheerenden Brand am frühen Mittwochmorgen wie ein Grabmal in den blauen Himmel. Wie viele Menschen in dem Bau verbrannt sind, weiß bislang niemand genau. Die Bergung gestaltet sich „aufgrund des gefährlichen Zustands des Gebäudes“ als schwierig, wie die Polizei mitteilte. Ständig zeigen die Menschen auf den Wohnblock, weinen, erzählen von dramatischen Geschichten, von Verlust und Verzweiflung. Es ist herzzerreißend. Mindestens 30 Menschen sind in dem Inferno gestorben. Doch die Behörden erwarten, dass die Zahl der Opfer weiter steigt. „Ich hoffe, dass sie nicht dreistellig wird“, sagte der zuständige Beamte.

Für die Opfer des Großbrands, die überlebt haben, stehen im Schatten des ausgebrannten Wohnblocks provisorisch aufgestellte Tische mit Kartons voller Spenden – Essen, Kleidung, Getränke, Toilettenartikel. An fast jedem Baum, jeder Wand und jeder Telefonzelle kleben Vermissten-Meldungen mit Fotos und Beschreibungen von Bewohnern, von denen Angehörige und Freunde seit der Katastrophe kein Lebenszeichen mehr erhalten haben. „Es erinnert mich an die Tage nach dem 11. September“, sagt eine New Yorkerin, die Spenden sortiert und seit Tagen kaum geschlafen hat – wie viele freiwillige Helfer.

An der Wand eines Gemeindezentrums im Schatten des 24-stöckigen Sozialbaus hinterlassen Trauernde Nachrichten. „Mein Herz blutet“, steht da geschrieben oder „Möge Gott mit euch sein“. Und immer wieder: „Wir wollen Antworten.“

Die Stimmung in der Gemeinde ist angespannt. In die Frustration, Trauer und Verzweiflung mischt sich schnell Wut. Sie richtet sich mittlerweile so ziemlich gegen alle Vertreter der Obrigkeit, die im reichen Bezirk Kensington und Chelsea jahrelang vor allem Immobilienspekulanten und ausländische Investoren hofierten und sich wenig für die Arbeiterklasse interessierten, so die Kritik etlicher Bewohner. Wer ist Schuld an dem Desaster? War der Brandschutz tatsächlich mangelhaft, wie die Grenfell-Mieterinitiative bereits seit Jahren beklagt? Hat die erst kürzlich im Zuge der Sanierungsarbeiten angebrachte Fassadenverkleidung den Brand in ein Inferno verwandelt? Mehreren Medienberichten zufolge wurde für die Ummantelung entflammbares, günstiges Material benutzt anstatt der teureren, feuerfesten Ausführung. Die Behörden aber warnen seit Tagen vor Spekulationen über die Brandursache. Premierministerin Theresa May kündigte eine unabhängige Untersuchung an. Doch die Ermittlungen könnten sich noch viele Wochen oder gar Monate hinziehen. Zudem werde es laut Polizei lange dauern, bis die Spezialkräfte das Hochhaus vollständig durchsucht und alle Opfer geborgen hätten. Derzeit kommen vor allem Drohnen und Spürhunde zum Einsatz.

Und mit jedem Tag wächst der Ärger – auf die Regierung, die Stadtverwaltung, die kommunalen Politiker. Besonders viel Wut fokussiert sich auf Theresa May. Sie besuchte am Donnerstag zwar den schwer gezeichneten Ort, sprach aber lediglich mit Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern. Dass sie offenbar keine Zeit für eine Begegnung mit den Opfern hatte, löste einen Sturm der Empörung aus. May reagierte. Und besuchte gestern Nachmittag Überlebende in einem Krankenhaus – „endlich“, meinte das Boulevardblatt „Daily Mail“. Die wütenden Bewohner um den Grenfell Tower hat sie mit dieser Geste derweil kaum beruhigt. Sie fordern Antworten.

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