Tastsinn hilft bei Früherkennung Blinde gegen Brustkrebs

Duisburg/Erlangen · Mit dem besonderen Tastsinn sehbehinderter Helfer will ein Frauenarzt aus Duisburg die Tumorvorsorge verbessern. Ein Ansatz mit Potenzial?

 Gynäkologe  Frank Hoffmann schaut zu, wie seine blinde Assistentin Filiz Demir eine Patientin abtastet.

Gynäkologe Frank Hoffmann schaut zu, wie seine blinde Assistentin Filiz Demir eine Patientin abtastet.

Foto: dpa/Caroline Seidel

Filiz Demir ist blind, doch mit ihren Händen und viel Geduld kann sie erkennen, was Ärzte manchmal unter Zeitdruck übersehen könnten: kleinste Veränderungen im Brustgewebe ihrer Patientinnen, hinter denen Brustkrebs stecken könnte. Ertasten ihre besonders sensiblen und geschulten Fingerspitzen eine Auffälligkeit, zieht sie den Arzt hinzu, der dann mittels Ultraschall oder Mammografie genauer hinschauen kann. Die Methode, nach der Demir arbeitet, ist nun erstmals auf ihre Wirksamkeit überprüft worden. Das Ergebnis: Die sogenannten Medizinischen Tast­untersucherinnen (MTUs) finden bei der Brustkrebsvorsorge genauso häufig Auffälligkeiten im Gewebe wie der Arzt. „Tun beide sich zusammen, können sie Auffälligkeiten in der Tastuntersuchung häufiger erkennen als der Arzt alleine“, sagt Michael Lux von der Frauenklinik der Universität Erlangen.

Die 43-jährige Daniela Frankenthal geht jährlich zur Früherkennung. Demirs Hände wandern dann Zentimeter für Zentimeter ihre Brüste ab. Orientierung bieten dabei zwei selbstklebende Papierstreifen, die die Brust in eine Art Koordinatensystem verwandeln. Lux hat die Effektivität der Methode bei 395 Frauen untersucht und die Ergebnisse der Pilotstudie im Fachmagazin „Breast Care“ veröffentlicht. Bei Frauen ohne vorherige Brustoperation habe sich der Einsatz bewährt, so sein Fazit. Viele Ärzte hätten dies bislang bezweifelt, vielleicht auch, weil sie fürchteten, ihre eigene Arbeit könnte damit geringgeschätzt werden.

In 82 Prozent aller nicht-voroperierten Fälle stellten MTUs Gewebeauffälligkeiten korrekt fest. Kombinierte man die Treffergenauigkeit mit der der Ärzte, lag sie bei 89 Prozent. Größere Schwierigkeiten hätten die blinden Helfer jedoch bei bei Patientinnen mit vorheriger Brust-OP. „Mit dem oftmals vernarbten Gewebe kamen die Tasterinnen nicht so gut klar wie die darauf spezialisierten Ärzte“, sagt Lux. Im Umkehrschluss glaubt er, dass MTUs bei der Früherkennung nicht vorher dagewesener Erkrankungen die Nase deutlicher vorn haben könnten. Viele Kollegen arbeiteten hier im Routinefall unter großem Zeit- und Kostendruck. Eine Tastuntersuchung durch sehbehinderte Helfer dauert mindestens 30 Minuten, die Kosten von 46,50 Euro übernehmen inzwischen 26 Krankenkassen bundesweit.

Andere Kollegen warnen: Es sei zu berücksichtigen, dass MTUs mit einer halbstündigen Untersuchung ähnlich gute Ergebnisse erzielten wie der Arzt in nur einigen Minuten, sagt Sherko Kümmel, Direktor des Brustzentrums der Kliniken Essen-Mitte. „Wichtiger für eine Verbesserung der Vorsorge wäre es beispielsweise, den Ultraschall für weitere Risikogruppen, etwa bei Frauen mit sehr dichtem Drüsengewebe, zu finanzieren.“ Eine Mammografie gehört in der Regel erst für Patientinnen über 50 Jahren zum vorgeschriebenen Leistungskatalog.

Dabei ist Brustkrebs mit etwa 70 000 Neuerkrankungen jährlich die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland. „Lebensgefährlich ist nicht der Tumor in der Brust. Lebensgefährlich ist er, wenn er im Körper gestreut hat“, sagt Frank Hoffmann, Gynäkologe und Initiator von Discovering Hands, jenem Unternehmen, das MTUs ausbildet und das Angebot weltweit verbreiten will. Bereits vor über zehn Jahren kam ihm die Idee, die Früherkennung durch die besonderen Qualitäten Sehbehinderter zu verbessern. Er sieht bei den geschulten Kräften das Potenzial, schon sehr kleine Gewebeveränderungen zu ertasten – bevor der Tumor gestreut hat.

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