Autoren des Glücks

Washington · Jeden Tag werden in China-Restaurants kleine Kekse gegessen. Das Gebäck ist Nebensache. Es geht um die darin versteckten Sprüche zu Geld oder Liebe. Dabei ist das krümelige Spiel mit der Zukunft ein großes Geschäft.

Manchmal, an guten Tagen, versteckt sich der Schlüssel zum Glück in einem pappigen Keks beim China-Restaurant an der Ecke. "Du wirst Deinen Liebhaber heiraten", "Ein sehr attraktiver Mensch hat eine Nachricht für Dich" oder "Du wirst in eine Position von hoher Ehre und Verantwortung berufen", orakelt es nach dem Verzehr von Frühlingsrollen oder Ente süß-sauer.

Die Glückskeks-Esser ahnen selten, dass hinter den Weissagungen nicht nur große Denker wie Aristoteles und Konfuzius stecken, sondern Menschen wie Donald Lau. Mittlerweile dürfte der in China geborene Absolvent der New Yorker Columbia-Universität das Glück mehrerer Millionen Fremder geschmiedet haben, indem er Prophezeiungen, Ratschläge und Warnungen für die Kekse dichtete. Einfach gestrickt müssen sie sein, am besten Sätze mit höchstens zehn Wörtern, verriet Lau vor einigen Jahren. Drei bis vier Lebensweisheiten textete er jeden Tag und ließ sich dabei auch gerne mal von Werbetafeln in der U-Bahn inspirieren. Rund vier Millionen Kekse verschickt seine Firma Wonton Food heute täglich an Restaurants und Ketten in den USA, Kanada, Lateinamerika und Europa. Der Ingenieur und Diplomkaufmann hätte wohl nie gedacht, dass er eines Tages Texte schreiben würde, die wildfremde Menschen sich im Portemonnaie aufbewahren oder zu Hause an ihren Kühlschrank kleben.

"Manchmal lese ich sie selbst", gesteht Jimmy Chou, Besitzer des China-Restaurants New Dynasty in Washington . Seine Kunden wünschten nicht nur etwas Süßes nach dem Essen, sondern eben auch eine Botschaft für den Weg. Für einen Karton mit 400 in Plastik eingeschweißten Keksen zahlt Chou sechs oder sieben Dollar, pro Keks also keine zwei Cent. 41 000 China-Restaurants soll es in den USA geben, doch nicht alle freuen sich über das krümelige Spiel mit der Zukunft: "Ich hasse Glückskekse so sehr", schimpft der Manager des Restaurants Sichuan Pavilion in Washington . Die Verpackungen landeten unter den Tischen und die Kekse auch.

Möglicherweise geht der Brauch auf einen chinesischen Einwanderer zurück, der 1918 umsonst Kekse gefüllt mit biblischen Versen an arme Menschen in Los Angeles verteilte. Es könnte auch ein Japaner gewesen sein, der sich mit Keks-Botschaften in San Francisco bei Menschen bedankte, die ihm in schweren Zeiten halfen. In China wird man im Restaurant jedenfalls vergeblich nach Glückskeksen fragen.

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