Aggressivität im Verkehr Auf den Straßen geht es immer rauer zu

Goslar · Die Aggressivität im Straßenverkehr nimmt zu – da sind sich Fachleute einig. Der Verkehrsgerichtstag diskutiert darüber, ob höhere Bußgelder eine Lösung sind.

 Ein Autofahrer streckt den „Stinkefinger“ aus dem Fenster und bekundet so auf drastische Weise seinen Unmut über andere Verkehrsteilnehmer. Insgesamt nimmt die Aggressivität auf den Straßen zu, sagen Experten.

Ein Autofahrer streckt den „Stinkefinger“ aus dem Fenster und bekundet so auf drastische Weise seinen Unmut über andere Verkehrsteilnehmer. Insgesamt nimmt die Aggressivität auf den Straßen zu, sagen Experten.

Foto: dpa/Jens Büttner

(dpa) Eine Frau aus Bremen fährt bei Göttingen auf dem Überholstreifen der Autobahn 7. Von hinten rast ein Sport-Kombi heran und fährt dicht auf. Der Fahrer hupt und betätigt die Lichthupe. Die Bremerin erschrickt und verliert die Kontrolle. Der Kleinwagen schleudert, überschlägt sich und bleibt auf dem Dach liegen. Die Fahrerin ist schwer verletzt. Fälle wie diesen haben Experten vor Augen, wenn sie die zunehmende Aggressivität auf Deutschlands Straßen kritisieren. Die Bußgelder müssten erhöht werden, fordern Teilnehmer des 56. Verkehrsgerichtstages (VGT), der sich noch bis heute in Goslar berät.

„Es gibt aggressives Verhalten vor allem auf den Autobahnen“, hat VGT-Präsident Kay Nehm festgestellt: „Behindern, Linksfahren, in der Mitte Fahren – das hat sich bedauerlicherweise breitgemacht“, sagt der frühere Generalbundesanwalt. Ähnlich sieht man es beim Autoclub AvD: Aggressives Verhalten im Straßenverkehr gehe fast immer auch mit groben Regelverletzungen einher, sagt Sprecher Herbert Engelmohr. Dabei werde die Schädigung Anderer zumindest billigend in Kauf genommen.

„Die Toleranz von Straßenverkehrsteilnehmern nimmt ab“, hat auch der Verkehrsjurist Jörg Elsner beobachtet. „Das Phänomen wird jeden Tag deutlich an Verengungen von zwei Fahrspuren auf eine.“ Auch wenn es nur um einen Raumgewinn von einer Fahrzeuglänge gehe, seien Verkehrsteilnehmer häufig nicht bereit, andere Fahrer einfädeln zu lassen, sagt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwalt Vereins (DAV).

Auch bei Unfällen spiele die fehlende Disziplin der Verkehrseilnehmer eine erhebliche Rolle, sagt Elsner. „Wer abbiegen will, blinkt häufig nicht.“ Und auch die Beachtung des rückwärtigen Verkehrs auf zweispurigen Fahrbahnen lasse deutlich nach. „Die Kraftfahrer ziehen einfach raus“, sagt der Verkehrsanwalt. Ein weiteres Problem seien „Kraftfahrer, die meinen, andere disziplinieren zu müssen, etwa indem sie die Überholspur blockieren“. Der Vorsitzende des Autoclubs ACE, Stefan Heimlich, fasst es so zusammen: „Bei vielen Verkehrsteilnehmern steht das Ich vor dem Wir.“

Über die Gründe dafür lässt sich nur spekulieren. Denn wissenschaftlich fundierte Daten zur Aggressivität im Straßenverkehr lägen nicht vor, sagt die Sprecherin des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR), Julia Fohmann. Allerdings höre der DVR regelmäßig „von Seiten der Fahrlehrerschaft und der Polizei, dass aggressives Verhalten zunimmt“. Möglicherweise spielten dafür erhöhte Arbeitsbelastung, Leistungs- und Zeitdruck eine Rolle, vermutet Wolfgang Schönwald von der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

ACE-Chef Stefan Heimlich schlägt als „angemessene Reaktion auf die zunehmende Aggression im Straßenverkehr“ eine Anhebung der Bußgelder und die Verschärfung des Punktekatalogs vor. Der Verkehrsgerichtstag in Goslar wird darüber beraten. Zustimmung gab es bereits vom Automobil-Club Verkehr ACV, auch weil die Bußgelder für Verkehrsverstöße im europäischen Vergleich Schnäppchen seien. Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft will höhere Bußgelder, weil die derzeitigen Sätze selten abschreckend wirkten.

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