ZDF-Sendung Aktenzeichen

München/Saarbrücken · Seit 50 Jahren lässt das ZDF die Fernsehzuschauer an schrecklichen Verbrechen teilhaben. Und kommt so den Tätern auf die Spur.

 Moderator Eduard Zimmermann bei einer früheren Ausgabe der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY. . .ungelöst“.

Moderator Eduard Zimmermann bei einer früheren Ausgabe der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY. . .ungelöst“.

Foto: dpa/Renate Schäfer

(afp/kna/SZ) Es ist drei Uhr in der Früh an diesem 20. Januar 1969, als zwei bewaffnete Männer in das Munitionsdepot der Lebacher Kaserne eindringen. Ohne Vorwarnung eröffnen sie das Feuer auf die jungen, teils schlafenden Wachsoldaten. Drei von ihnen sind sofort tot, ein vierter stirbt wenige Tage später. Der Fall wird zum Politikum. Verteidigungsminister Gerhard Schröder (CDU) und zeitweise über 100 Reporter kommen ins Saarland. Eine Sonderkommission mit bis zu 130 Beamten ermittelt – zunächst ohne Erfolg. Dann greift Moderator Eduard Zimmermann, scherzhaft auch „Ganoven-Ede“ genannt, den Fall in „Aktenzeichen XY. . .ungelöst“ auf. Eine Wahrsagerin sieht die ZDF-Sendung und gibt den entscheidenden Hinweis. Die Täter werden gefasst. Der Lebacher Soldatenmord (siehe auch unten stehender Text) gehört zu den spektakulärsten gelösten Fällen in der nun seit 50 Jahren laufenden Fernsehreihe.

Mittlerweile konnten laut ZDF-Statistik 623 Morde mit Hilfe von „Aktenzeichen XY“ aufgeklärt werden, dazu kommen 95 versuchte Morde, 401 Raubüberfälle und 352 Betrugsfälle. Auch 48 Vermisstenfälle löste die Sendung mit Hilfe der Fernsehzuschauer – wobei die Aufklärungsrate hier mit 33,6 Prozent unter der Gesamtquote liegt. Laut ZDF konnten 40,4 Prozent aller im Lauf der Jahrzehnte vorgestellten 4586 Fälle aufgeklärt werden.

Am 20. Oktober 1967 bat Zimmermann die deutschen Fernsehzuschauer erstmals um Mithilfe bei der Lösung ungeklärter Kriminalfälle. „Den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen – das, meine Damen und Herren, ist der Sinn unserer neuen Sendereihe“, erläuterte Zimmermann mit ernstem Blick bei der Premiere in schwarz-weiß. Sachdienliche Hinweise konnte das Publikum damals schon über eine Hotline geben – oder via Telegrafie, „sollten Sie selbst über einen Fernschreiber verfügen“. Doch damit nicht genug: „Schließlich können sie auch noch die Bilder der gezeigten Personen von ihrem Bildschirm abfotografieren“, riet Zimmermann. „Es könnte ja immerhin sein, dass Ihnen morgen der ein oder andere der Gesuchten über den Weg läuft.“

Dass zum 50-jährigen Jubiläum der Erstausstrahlung Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) „die einfache wie brillante Idee“ als Revolution der Strafverfolgung lobt oder der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, darin eine „bahnbrechende Pionierarbeit“ sieht, war 1967 allerdings noch nicht abzusehen. In der aufkommenden antiautoritären Studentenbewegung fürchteten viele einen Nährboden für Denunziantentum durch die ZDF-Sendung.

Der Schriftsteller Heinrich Böll nannte die Sendung ein „muffiges Grusical für Spießer“. Die spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof verlangte: „Dem Fernsehsheriff muss das Handwerk gelegt werden.“ Zimmermann landete bald danach sogar auf einer der Todeslisten der RAF. Der 1997 als Moderator ausgestiegene und 2009 verstorbene Zimmermann thematisierte dennoch immer wieder die Taten der RAF und bat um Mithilfe – genau wie es auch der jetzige Moderator Rudi Cerne macht.

Als entscheidendes Erfolgsrezept gilt der Gruselfaktor, dass hier über reale Taten berichtet wird – und dies auch mit echten Ermittlern. Polizisten oder Staatsanwälte sind real – die manchmal ungelenke, bürokratische Art der Ermittler, die Zusammenhänge zu formulieren, gehört zur Authentizität. Dazu werden Schauspieler eingesetzt, die die Fälle nachspielen.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ berichtete der schon seit 1986 an der Sendung mitwirkende Beamte des bayerischen Landeskriminalamts, Alfred Hettmer, dass eigentlich nur die schwierigen Fälle in die Sendung kommen. Erst wenn die Polizei mit ihren sonstigen Mitteln „das Ende der Fahnenstange erreicht hat“, werde auf „Aktenzeichen XY“ zugegriffen. Auch die Saar-Polizei weiß die ZDF-Sendung  als „Instrument der erweiterten Öffentlichkeitsfahndung“ zu schätzen. Polizeisprecherin Melanie Mohrbach teilt auf SZ-Anfrage mit: „Die aus der Sendung resultierenden Hinweise eröffnen den ermittelnden Beamten in der Regel neue Ermittlungsansätze und andere Betrachtungsweisen/Einordnungen von Sach- und Personenzusammenhängen.“

 Seit 2002 führt Ex-Eiskunstläufer  Rudi Cerne durch „Aktenzeichen XY. . .ungelöst“.

Seit 2002 führt Ex-Eiskunstläufer Rudi Cerne durch „Aktenzeichen XY. . .ungelöst“.

Foto: dpa/Georg Wendt
 ARCHIV - Das einstige Logo der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY... ungelöst» im Jahr 1991. (zu dpa "Ungeklärter Fall in TV-Sendung: Mädchen vor 28 Jahren getötet" vom 04.10.2016) Foto: Thomas Lehmann/dpa-Zentralbild/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

ARCHIV - Das einstige Logo der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY... ungelöst» im Jahr 1991. (zu dpa "Ungeklärter Fall in TV-Sendung: Mädchen vor 28 Jahren getötet" vom 04.10.2016) Foto: Thomas Lehmann/dpa-Zentralbild/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Foto: dpa/Thomas Lehmann
 Eduard Zimmermann alias „Ganoven-Ede“ moderierte die Sendung  30 Jahre lang.

Eduard Zimmermann alias „Ganoven-Ede“ moderierte die Sendung 30 Jahre lang.

Foto: dpa/Istvan Bajzat

„Bleiben Sie sicher“, sagt der seit 2002 moderierende Cerne zum Ende jeder Sendung seinem Publikum. Und die Zuschauer wissen doch, dass es weiter die Verbrechen geben wird, bei denen die Täter unerkannt durch die Lande streifen – bis sie vielleicht mit Hilfe von „Aktenzeichen XY“ und dem entscheidenden Tipp eines Zuschauers doch gefasst werden. Genau wie einst im Jahre 1969 die brutalen Soldatenmörder von Lebach.

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