"Achtung, Durchsage"

Wipfeld. Erst knackt der Lautsprecher, dann scheppert Marschmusik durch die Straßen. Zwei ältere Menschen eilen aus der Tür, lassen sich auf die Bank vor dem Haus fallen. Die Musik verklingt. "Bekanntmachung", ertönt eine Stimme. "Das Schnupperangeln am kommenden Samstag beginnt um neun Uhr am Baggersee. Um pünktliches Erscheinen wird gebeten

 Seit 22 Jahren macht Bürgermeister Peter Zeißner Neuigkeiten aus dem Rathaus über die Ortsrufanlage bekannt. Foto: Ebener/dpa

Seit 22 Jahren macht Bürgermeister Peter Zeißner Neuigkeiten aus dem Rathaus über die Ortsrufanlage bekannt. Foto: Ebener/dpa

Wipfeld. Erst knackt der Lautsprecher, dann scheppert Marschmusik durch die Straßen. Zwei ältere Menschen eilen aus der Tür, lassen sich auf die Bank vor dem Haus fallen. Die Musik verklingt. "Bekanntmachung", ertönt eine Stimme. "Das Schnupperangeln am kommenden Samstag beginnt um neun Uhr am Baggersee. Um pünktliches Erscheinen wird gebeten." Montag, halb zwölf im unterfränkischen Weinort Wipfeld: Der Bürgermeister hat gesprochen.Früher zog ein Beamter durchs Dorf, schellte mit der Handglocke und verlas die Neuigkeiten. Heute erscheint das Amtsblatt im Internet - die Ortsrufanlage von Wipfeld gibt es immer noch. Mehr als 25 Lautsprecher hängen an Hauswänden und Laternen, die Durchsagen erreichen 1200 Menschen. Selbst in den Weinbergen rund um das Dorf sind sie zu hören. Im Rathaus sitzt Bürgermeister Peter Zeißner und ordnet seine Zettel. Vor ihm steht ein Mikrofon. "Ein schnelleres Medium gibt es nicht", sagt Zeißner. Seit 22 Jahren macht er schon Durchsagen. Jeden Montag und Mittwoch hallt Zeißners Stimme durch das Dorf. "An den übrigen Tagen benutze ich die Anlage nur in dringenden Fällen", sagt der 63-Jährige. Vor allem offizielle Termine schallen aus den Lautsprechern: die nächste Bürgerversammlung, Gottesdienstzeiten und das Neueste aus den Vereinen. Auch wenn kurzfristig das Fußball-Training entfallen muss, schaltet Zeißner die Ortsrufanlage ein.

So praktisch die Apparate auch sind, so dunkel ist ihreVergangenheit. "In der NS-Zeit wurden die Anlagen genutzt, um die ländliche Bevölkerung ohne Radio politisch im Griff zu halten", sagt Karin Falkenberg, Historikerin im Rundfunkmuseum Fürth. 6000 Apparate ließ Reichspropagandaminister Goebbels aufhängen. Damals hießen Ortsrufanlagen noch "Reichslautsprechersäulen". Nach dem Krieg verschwanden die meisten von ihnen wieder. "Nur in Ostdeutschland gab es in vielen Orten noch Beschallung", sagt Falkenberg. Diesmal für sozialistische Propaganda. Inzwischen dürften nur noch wenige von ihnen in Betrieb sein, schätzt die Historikerin.

 Seit 22 Jahren macht Bürgermeister Peter Zeißner Neuigkeiten aus dem Rathaus über die Ortsrufanlage bekannt. Foto: Ebener/dpa

Seit 22 Jahren macht Bürgermeister Peter Zeißner Neuigkeiten aus dem Rathaus über die Ortsrufanlage bekannt. Foto: Ebener/dpa

Die Wipfelder jedenfalls lieben ihre Anlage. "Natürlich steht alles im Amtsblatt", sagt die 26-jährige Julia Schäfer. "Aber vieles vergisst man wieder, da machen die Durchsagen schon Sinn." Sobald die junge Frau die Marschmusik hört, öffnet sie das Fenster. "Wir betreiben die Ortsrufanlage nicht aus nostalgischen Gründen", sagt Bürgermeister Zeißner. "Aus den Lautsprechern ertönen nur Durchsagen, die wichtig sind - zweimal, damit auch jeder alles hört." Vor Jahren hatte der Schulbus einen harmlosen Unfall. Zeißner fuhr zufällig vorbei - und lenkte zum Rathaus. "Sonderdurchsage: Die Schulkinder werden heute später nach Hause kommen." Schneller wäre das wohl nicht gegangen. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort