Bluttat in Frankfurt Trauer, Ohnmacht und viele Fragen an Gleis 7

Frankfurt/Berlin · Nach der Bluttat am Frankfurter Hauptbahnhof bleibt das Motiv unklar. Ist der mutmaßliche Täter, der in der Schweiz lebte, psychisch krank?

 Am Eingang zu Gleis 7 liegen am Frankfurter Hauptbahnhof Blumen und Teddybären. Wenige Meter weiter starb am Montag ein achtjähriger Junge.

Am Eingang zu Gleis 7 liegen am Frankfurter Hauptbahnhof Blumen und Teddybären. Wenige Meter weiter starb am Montag ein achtjähriger Junge.

Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

Am Eingang zum Bahnsteig stehen Grablichter, liegen Blumen und Kuscheltiere. Ein Teddybär hält einen handgeschriebenen Zettel mit der Frage des Tages: „Warum?“ Warum musste der kleine Junge am Montag sterben? Wie konnte es passieren, dass der Achtjährige vor den einfahrenden Zug gestoßen wurde? Was ging in dem Täter vor? Antworten hat am Dienstag am Frankfurter Hauptbahnhof niemand.

Man hat den Eindruck, es ist stiller an diesem Dienstagmorgen. Leerer ist es nicht. Die Massen schieben sich an den Gleisen entlang und laufen kreuz und quer durch die Halle. Besonders voll ist es am Eingang zum Gleis 7, wo viele Kamerateams Stellung bezogen haben. Weiter hinten, im abgelegenen Abschnitt E, wo sich das Drama am Montag zutrug, sind am Dienstag keine Blumen oder Kerzen zu sehen. Nur zwei pinkfarbene Striche an der Bahnsteigkante markieren die Stelle, an der der Achtjährige starb.

In Berlin spricht Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) derweil von einem „kaltblütigen Mord“ am Frankfurter Hauptbahnhof. Ein solches Ereignis treffe „mitten ins Herz“. Nun werde alles unternommen, um den mutmaßlichen Täter auch seiner gerechten Strafe zuzuführen. Zugleich richtet sich der Blick des Ministers auf die Verbesserung der Sicherheit an Bahnhöfen.

Der Tatverdächtige ist ein aus Eritrea stammender Mann, Vater von drei Kindern. Er soll den Achtjährigen und seine Mutter vor einen einfahrenden ICE gestoßen haben. Die Mutter konnte sich retten, der Sohn wurde getötet. Laut Schweizer Behörden soll sich der mutmaßliche Täter in psychiatrischer Behandlung befunden haben. Hinweise auf eine Radikalisierung oder ideologische Motive gebe es nicht.

Seehofer erklärt, der Verdächtige habe seit über zehn Jahren eine Niederlassungserlaubnis in der Schweiz besessen. Er sei auch legal in Deutschland eingereist. Der 40-Jährige sei zudem ein Beispiel für „gelungene Integration“ gewesen. Aus dem Fall ergäben sich keine aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen, betont der Minister. Gleichwohl weiß der Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, zu berichten, dass der mutmaßliche Angreifer in der Schweiz zur Festnahme ausgeschrieben gewesen ist. Er soll am vergangenen Donnerstag eine Nachbarin mit einem Messer bedroht, sie gewürgt und eingesperrt haben.

Die Vermutung liege daher nahe, so Romann, dass er sich auf der Flucht befunden habe. Der Mann sei aber weder bei der deutschen Polizei noch bei anderen hiesigen Behörden in den entsprechenden Registern geführt worden. Auch sei kein Asylverfahren anhängig. Eine Kontrolle an der Grenze habe nicht stattgefunden, da es keine regulären Grenzkontrollen an der deutsch-schweizerischen Grenze gebe, erklärt Romann.

In aller Früh hat Seehofer am Dienstag bereits mit Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) telefoniert. Unter Einbezug der Bahn wollen beide mehrere Spitzengespräche darüber führen, wie die Sicherheit an den Bahnhöfen verbessert werden kann. „Und zwar wirksam“, betont Seehofer. Allerdings gibt es in Deutschland 5600 Stationen mit völlig unterschiedlichen Strukturen. Seehofer nennt den Ausbau der Videoüberwachung, mehr polizeiliche Präsenz, auch Veränderungen bei der technischen Ausstattung an den Bahnsteigen als mögliche Maßnahmen. Hinweise der Bahn auf Millionen-Kosten kontert Seehofer mit der Bemerkung: „Wenn es um Menschenleben geht, gefällt mir das Argument mit dem Geld überhaupt nicht.“ Angesichts eines so „grässlichen Verbrechens“ bestehe die Pflicht für die Politik, die Sicherheit der Bevölkerung weiter zu erhöhen, so der Innenminister.

Was möglich ist und was nicht, darüber wird nun politisch diskutiert. FDP-Verkehrsexperte Oliver Luksic meint, ein Abschirmen von Bahngleisen, etwa durch Glas- oder Plastikwände, könne insbesondere an S- und U-Bahnsteigen für mehr Schutz sorgen. „Im regulären Schienenverkehr an Bahnhöfen bietet sich dagegen keine einfache Lösung an.“ Denn eine einheitliche Abtrennung sei durch die Vielzahl an Zügen mit unterschiedlichen Längen, Höhen und Türen kaum möglich, erläutert Luksic. „Hier kann man eher mit lokal erhöhter Präsenz der Polizei und Aufklärung über Risiken Gefahr eingrenzen.“

Von fast allen Seiten wird zudem zur Besonnenheit aufgerufen. „Wir sollten einen Moment innehalten und uns fragen, wie wir mit solchen Taten umgehen“, mahnt die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt. AfD-Vize Georg Pazderski erklärt hingegen: „Der tote Achtjährige vom Frankfurter Hauptbahnhof ist ein Fanal und muss die lange überfällige sicherheitspolitische Kehrtwende auslösen.“

Unweit des Tatortes in Frankfurt legen drei Mitarbeiter der Hilfsorganisation ASB unterdessen gemeinsam eine Blume ab. Marlon war am Vortag im Einsatz, er betreute Augenzeugen des schrecklichen Vorfalls. Sie zu trösten sei schwierig gewesen, sagt der junge Mann. „Wir sind für solche Fälle geschult, aber wenn es dann passiert...“. Solche Szenen erwarte man in einem Actionfilm, aber nicht in der Realität. Am Tag danach fühle er sich „unwirklich“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort