65 Jahre Bravo Jugendgefährdend – Warum die größte Jugendzeitschrift unter der Ladentheke verschwand

München · Dr. Sommers Sexberatung, Poster-Starschnitt, Foto-Lovestory: Heute erreicht die Jugendzeitschrift Bravo das Rentenalter. Und hat längst ihre einstige Stahlkraft eingebüßt.

 Fast schon historische Ausgaben der Jugendzeitschrift Bravo.

Fast schon historische Ausgaben der Jugendzeitschrift Bravo.

Foto: dpa/Bauer Media Group+SEP+BRAVO

Zehn Mal verschwand die einst größte Jugendzeitschrift im deutschen Sprachraum unter die Ladentheke: Jugendschützer hatten Bravo als jugendgefährdend eingestuft. Die Themen, die damals für Aufruhr sorgten, erscheinen heutzutage fast schon bieder und würden kaum jemanden noch dazu veranlassen, ein Verkaufsverbot anzustrengen. Im Vergleich zur generell medialen Freizügigkeit in sexuellen Belangen.

 Die Erstausgabe der Bravo vom 26. August 1956.

Die Erstausgabe der Bravo vom 26. August 1956.

Foto: dpa/Bauer Media Group+SEP+BRAVO

Jetzt feiert Bravo 65. Geburtstag. Damit erreicht das Jugend-Magazin selbst das Rentenalter. Die Zeiten sind vorbei, als ein Exemplar auf dem Schulhof als Geheimsache vor neugierigen Paukeraugen galt. Wegen des geringen Taschengeldes begehrtes Tauschobjekt unter jungen Leuten war.

Die Einstufung der Beiträge als schmuddelige Sextexte und dabei als jugendgefährdend sind ebenso längst Schnee von gestern. Dabei waren damals Dr. Sommers Sex- und Lebensberatung der Kaufanreiz schlechthin. Neben Poster-Starschnitt, der den prominenten Liebling in handliche Einzelteile zerlegte und die dann an einer Wand des eigenen Zimmers Woche für Woche, Stück für Stück wieder zusammengesetzt wurde. Den Anfang machte '59 die Schauspielerin Brigitte Bardot aus Frankreich, in elf Teile zerlegt.

 Dr. Martin Goldstein, der in der Jugendzeitschrift Bravo als Doktor Sommer fungierte, blättert in seinem Haus in Kaarst bei Düsseldorf in einer Ausgabe. (Arhcivaufnahme vom 15. November 2006).

Dr. Martin Goldstein, der in der Jugendzeitschrift Bravo als Doktor Sommer fungierte, blättert in seinem Haus in Kaarst bei Düsseldorf in einer Ausgabe. (Arhcivaufnahme vom 15. November 2006).

Foto: dpa/A3512 Roland Weihrauch

Dr. Sommer jedenfalls setzte aus Sicht der Moralwächter allem die nicht zu tolerierende Krone auf. So kämpfte die Deutsche Vereinigung für christliche Kultur (DVCK) in Frankfurt/Main  mit der Aktion „Kinder in Gefahr – Stoppt Bravo“ für ein Verbot. Wörtlich hieß es dazu: „Obwohl Bravo am Anfang noch nicht so unmoralisch war wie heute, war das Blatt schon polemisch, bevor es systematisch Nacktfotos und sonstige erotische Inhalte veröffentlicht hat. Bravo war immer in der vordersten Reihe der Tendenzen, die aus Deutschland ein Land ohne Werte und Prinzipien machen wollen. Also ein Land, in dem das Leben der Jugend aus Geschlechtsverkehr und oberflächlichem Spaß bestehen soll.“

Seit 1962 widmete sich Bravo den Nöten pubertierender Jugendlicher. Sex, Verhütung, Körper, Liebe waren seit jeher die Themen. Den Anfang machte der „Knigge für Verliebte“. Abgelöst  sieben Jahre darauf  von Dr. Sommer. Hunderte Briefe erreichten die Berater wöchentlich. Darunter waren Fragen wie diese: „Er hat mir einen Zungenkuss gegeben. Werde ich jetzt schwanger?“ 

1972 setzte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Bonn erstmals zwei Titel auf den Index. Sie waren damit für junge Leser unter 18 Jahren in den Läden nicht mehr zu haben. Ausschlaggebend dafür war das Thema: Selbstbefriedigung führt nicht zum Knochenmarkschwund.

Von solchen Proteststürmen blieb der Leserpreis Otto verschont, der ab 1957 verliehen wurde. Namensgeber war der Belichter Otto – frühes Maskottchen der Jugendzeitschrift. Unter den prominenten Preisträgern: Maria Schell und James Dean. Allein  13 Ottos erhielt Bon Jovi. Winnetou-Darsteller Pierre Brice wurde mit zwölf Trophäen ausgezeichnet. Sogar Schauspielerin Inge Meysel war mal bei der Jugend hoch im Kurs und staubte elf Ottos ab.

Zum 50. Bestehen der Zeitschrift vor 15 Jahren hatte sie noch eine Auflage von mehr als 600 000 Exemplaren, zu Spitzenzeiten waren es sogar eine Million. Wöchentlich. Heute erscheint das Blatt nur noch einmal mit Monat am Kiosk und erreicht 83 000 Exemplare.  Zum Vergleich: Die erste Nummer am 26. August 1956 zählte 30000. Heute erreicht die Redaktion bei Weitem mehr Interessenten via Instagram und Tiktok.

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