43 Studenten in Mexiko seit fünf Jahren verschwunden Angehörige der 43 Studenten geben nicht auf

Ayutla de los Libres · Polizei, organisierte Kriminalität, Lokalpolitik: Alle waren sie vor fünf Jahren in das Verschwinden der jungen Leute in Mexiko verwickelt. Was geschah, ist noch immer ungeklärt.

 Plakate mit Fotos der 43 Studenten, die im Jahr 2014 verschwanden, hängen vor dem Hauptsitz der ehemaligen Generalstaatsanwaltschaft in Mexiko-Stadt. Ihr Schicksal ist bis heute ungekärt.

Plakate mit Fotos der 43 Studenten, die im Jahr 2014 verschwanden, hängen vor dem Hauptsitz der ehemaligen Generalstaatsanwaltschaft in Mexiko-Stadt. Ihr Schicksal ist bis heute ungekärt.

Foto: dpa/Andrea Sosa Cabrios

Die Augen von Aldo Gutiérrez Solano bewegen sich von einer Seite zur anderen. Sein Blick ist leer und zugleich traurig. Vor fünf Jahren flog eine Kugel durch seinen Kopf, seitdem liegt er mit einem schweren Hirnschaden im Wachkoma. In einem Haus in der Nähe seines Heimatdorfes im mexikanischen Bundesstaat Guerrero hat der Staat ein Krankenzimmer für ihn eingerichtet. Aldos Mutter Gloria Solano verkneift sich die Tränen, wenn sie bei ihm ist. Sie wolle für ihren Sohn stark sein, sagt sie. Die Hoffnung, irgendwann wieder mit ihm reden zu können, gibt sie nicht auf, obwohl sie weiß, dass es unwahrscheinlich ist. Die 61-Jährige schätzt sich sogar gewissermaßen glücklich: „Wir können ihn wenigstens sehen“, sagt sie. „Den anderen Eltern fehlt jede Spur ihrer Kinder.“

Gemeint sind die 43 Studenten des Lehrerseminars Ayotzinapa, die am Abend des 26. September 2014 in der Stadt Iguala in Guerrero von Polizisten verschleppt wurden und seitdem als verschwunden gelten. Insgesamt war eine Gruppe von rund 100 Studenten in mehreren Bussen unterwegs, die sie gekapert hatten, um zu einer Demonstration in der rund 200 Kilometer nördlich gelegenen Hauptstadt Mexikos zu fahren – eine Art Tradition des linken Hochschule für junge Menschen aus der armen Landbevölkerung. Zu der Gruppe gehörte auch der damals 19 Jahre alte Aldo.

In Iguala griff die Polizei die Studenten an, jagte sie durch die Stadt und schoss auf sie. Dabei kamen sechs Menschen ums Leben, 25 wurden verletzt – darunter Aldo. Warum die Polizisten das machten, ist unklar. Gewiss ist, dass sie mit dem Verbrechersyndikat Guerreros Unidos unter einer Decke steckten. Diesem übergaben sie ihre 43 Gefangenen.

Was danach geschah, ist bis heute ungeklärt. Nach Aussagen von Verdächtigen wurden die jungen Männer getötet und verbrannt. Unabhängige Untersuchungen zweifeln das aber an, da Beweise fehlen. Überreste der Opfer wurden bis auf einen Knochen keine gefunden.

Mehr als 140 Verdächtige wurden festgenommen, darunter der damalige Bürgermeister und der Polizeichef von Iguala. Viele von ihnen kamen inzwischen wieder frei – allein in den vergangenen Wochen waren es 28 von ihnen, darunter einer der Hauptverdächtigen: Gildardo López Astudillo alias „El Gil“, der mutmaßliche Regionalchef der Guerreros Unidos. Der Grund: Ihre Aussagen wurden mit Folter erzwungen. Verurteilt wurde bis heute niemand.

Der damalige mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto ignorierte den Fall lange. Sein Nachfolger Andrés Manuel López Obrador setzte mit dem ersten Erlass seiner Amtszeit eine „Wahrheitskommission“ ein. Das ist aber auch schon mehr als neun Monate her.

Die Gewalt der mächtigen Banden, die Drogenhandel, Entführung und Erpressung betreiben, geißelt Mexiko seit Jahren. Allein im vergangenen Jahr gab es fast 36 000 Morde. Darüber hinaus gelten 40 000 Menschen als vermisst. „Wir alle, die zu dieser Thematik arbeiten, wissen, dass die Justiz und die staatlichen Ermittlungsorgane ganz oft völlig korrupt sind“, betont Jürgen Moritz, ein deutscher Menschenrechtsexperte, der für die mexikanische Organisation CMDPDH arbeitet, – „und nachweisbar durchsetzt mit Leuten, die mit der organisierten Kriminalität zu tun haben oder unter Druck gesetzt werden“.

„Lebend habt ihr sie uns genommen, lebend wollen wir sie zurück“, lautet ein Spruch, mit dem die Angehörigen der 43 Verschwundenen um Gerechtigkeit kämpfen. Auch nach fünf Jahren gehen ihre Proteste weiter. „Es kommt ein weiterer Jahrestag, ohne, dass sie wüssten, wo sie sind“, sagt die Anwältin De Robina. „Das löst enormen Schmerz aus.“ Die Familie von Aldo Gutiérrez weiß zwar, wo er ist. Zurück hat sie ihn dennoch nicht.

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