Öffentlicher Dienst Eine Einigung, die (fast) allen mehr bringt

Potsdam · Nur mühsam ringen sich die Verhandlungsführer einen Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst ab. Von neuen Streiks bleiben die Bürger mancherorts aber nicht sicher verschont.

 Nach zähen Verhandlungen konnten der Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA),Ulrich Mädge, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Verdi-Vorsitzender Frank Werneke und Beamtenbunds-Chef Ulrich Silberbach (von links) dann doch eine Tarifeinigung für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen verkünden.

Nach zähen Verhandlungen konnten der Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA),Ulrich Mädge, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Verdi-Vorsitzender Frank Werneke und Beamtenbunds-Chef Ulrich Silberbach (von links) dann doch eine Tarifeinigung für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen verkünden.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Kurz ist der Gewerkschaftsboss aus dem Konzept. Potsdam, Sonntagnachmittag, die Tarifexperten der Gewerkschaften und der Arbeitgeber können endlich ihre Papiere zusammenräumen. Da wird Verdi-Chef Frank Werneke gefragt, wann in der Spitzenrunde ein Scheitern eigentlich vom Tisch war. „Ich hab das Zeitgefühl etwas verloren“, antwortet Werneke. Verwunderlich ist das nicht, die Abschlussrunde um die Löhne von mehr als zwei Millionen Beschäftigten zog sich zäh wie Kaugummi von Donnerstagmorgen bis Sonntagmittag hin. Was zählt, ist am Ende das Ergebnis: Aufsummiert 3,2 Prozent mehr Geld in zwei Schritten. Und noch Einiges mehr.

Nach kurzem Zögern fällt Werneke wieder ein, wann die Struktur des Kompromisses stand. „Am Samstag um ungefähr 15.45 Uhr sind die Würfel gefallen.“ Mit seinem Mitstreiter Ulrich Silberbach, dem Chef des Beamtenbunds dbb, sowie zwei weiteren Gewerkschaftsoberen saß Werneke die ganze Zeit mit Unterbrechungen Innenminister Horst Seehofer (CSU) und dem Verhandlungsführer der Kommunen, dem Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mädge gegenüber sowie zwei anderen Arbeitgeber-Spitzenvertretern. Vor allem der SPD-Mann aus Niedersachsen zeigte sich hartleibig.

Schon im Vorfeld hatte der 70-jährige Mädge mantra-artig verkündet, die Kommunen hätten mitten im tiefen Corona-Tal quasi keinen Cent für Tarifsteigerungen übrig. „Bei mir wird keine Kündigung morgen auf den Tisch gelegt, wie das bei Karstadt oder bei Airbus oder bei VW oder sonstwo passiert“, sagte Mädge noch am Donnerstag. Nach dem Motto: Das muss reichen. „Skandalös“ – so nannte Werneke das Verhalten der Arbeitgeber etwa bei der Pflege. Dort fühlen sich viele Beschäftigte von der Politik ohnehin seit Jahren im Stich gelassen.

Auch hinter verschlossenen Türen soll es lange nicht freundlicher geworden sein. Zwischen den Verhandlern gab es aus Gründen des Infektionsschutzes gebotenen Abstand und eine kühle Atmosphäre. Völlig unbeeindruckt zeigte sich Mädge vom etwas gewerkschaftsnäheren Kurs des jovialer auftretenden Seehofer. Umso überraschender war am Ende, dass die Gewerkschaften doch so einiges herausholen konnten.

3,2 Prozent mehr bei einer Laufzeit von 28 Monaten mehr klingt zunächst mal nach Niederlage – angesichts der Forderung von 4,8 Prozent für nur zwölf Monate. Aber: Schon im laufenden Jahr gibt es eine Corona-Sonderzahlung von 600 Euro aufs Konto – und zwar für alle bis zu einem Einkommen von 3470 Euro. Im Schnitt beträgt die Corona-Prämie noch 400 Euro. Bis zu dreimal sollen die in der Corona-Krise noch stärker als sonst belasteten Pflegekräfte profitieren: Durch eine Pflegezulage von 120 Euro ab März 2022. Dazu kommen bestehende, aber aufgestockte Zulagen, wenn eine Pflegekraft in Intensivstationen oder in Wechselschicht arbeitet. Wenn man Zulage und prozentuales Plus zusammenrechnet, kommt man in den zwei Jahren und vier Monaten Laufzeit insgesamt auf durchschnittlich 2700 Euro mehr.

Überhaupt betont Werneke: „Das Gros der Beschäftigten erhält eine Steigerung von vier bis 4,5 Prozent.“ 6,1 Milliarden Euro kostet die Kommunen und den Bund der Abschluss für die rund 2,3 Millionen Angestellten und die rund 225 000 Beamten, auf die er übertragen werden soll.

Aber: Die ersten sieben Monate des ab 1. September 2020 geltenden neuen Tarifvertrags gibt es gar nichts mehr. Den rund 175 000 Sparkassenbeschäftigten verlangt der Abschluss sogar Opfer ab. So werden Sonderzahlungen für sie gesenkt. Und die Beschäftigten der durch schwere Turbulenzen taumelnden Flughäfen müssen froh sein, dass sie ihren Job behalten sollen. Geplant ist ein Notlagentarifvertrag, der wenigstens betriebsbedingte Kündigungen ausschließen soll.

Und Kunden von Bussen und Bahnen müssen sogar weiter mit Streiks rechnen. Denn anders als sonst wird der Abschluss nicht in die Tarifverträge des Nahverkehrs in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen übernommen. Verdi kündigte schon an: Wenn die Beschäftigten bei der Corona-Prämie leer ausgehen sollen, lassen diese sich das nicht gefallen.

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