Zwischen allen Stühlen

Mit seinem Plädoyer für eine größere Verantwortung Deutschlands in der Welt hatte Bundespräsident Joachim Gauck vor einem Jahr bei vielen Menschen Irritationen und Ängste ausgelöst. Schließlich durfte man seine Worte auch als Militarisierung einer künftigen deutschen Außenpolitik deuten.

Gerade in diesen Tagen zeigt sich, dass Deutschland sehr wohl Verantwortung übernimmt, ohne deshalb militärisch auf die Pauke zu hauen. Dafür steht die diplomatische Initiative Angela Merkels zur friedlichen Lösung des brandgefährlichen Konflikts in der Ukraine. Anders als allgemein erwartet, steht der Erfolg jedoch weiter aus. Nur eines können Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande bislang auf der Haben-Seite verbuchen: Die Blitz-Offensive hat zumindest wieder Bewegung in die starren Fronten gebracht. Man spricht immerhin miteinander, am Mittwoch wahrscheinlich wieder bei einem weiteren Gipfel-Treffen.

Dabei geht es bei Merkels Plan doch eigentlich nur um ein Minimalziel, nämlich die Wiederbelebung des Minsker Abkommens, das bereits im vergangenen September unter internationaler Vermittlung von Vertretern der Ukraine, Russlands und der Separatisten geschlossen, aber nie verwirklicht worden war. Kern ist eine Waffenruhe, also ein Nicht-Krieg. Von einem Frieden wäre man dann immer noch weit entfernt.

Merkels lobenswerte diplomatische Aktion droht allerdings schon mangels eines kleinsten gemeinsamen Nenners zwischen Moskau und Kiew zu zerbröseln. Seit dem Minsker Abkommen haben die von Russland tatkräftig unterstützten Rebellen in der Ostukraine massive Geländegewinne erzielt. Warum sollte das Putin jetzt preisgeben? Umgekehrt gilt aber auch: Warum sollte Kiew einem Zerfall seines Landes tatenlos zusehen? Damit sitzt Merkel vorerst zwischen allen Stühlen. Das umso mehr, als die grundsätzliche Bereitschaft der USA zu Waffenlieferungen an Kiew noch deutlich beflügelt werden dürfte, falls ein diplomatischer Erfolg ausbleibt. Aber noch sind alle Möglichkeiten dafür nicht ausgeschöpft. So wären auch direkte Gespräche zwischen ukrainischer Regierung und Separatisten einen Versuch wert, was Kiew aber ablehnt.

So bleibt in der jetzigen Situation nur das Prinzip Hoffnung. Hoffnung darauf, dass Merkels Initiative doch noch zu einem Mindestmaß an Vernunft und Vertrauen zwischen den Konfliktparteien führt. Alles andere wäre ein Rückfall in altes Denken. In eine Zeit, als sich zwei Machtblöcke waffenstarrend gegenüberstanden. Das kann auch Putin nicht wollen. Der russische Präsident trägt die größte Verantwortung für den Krieg in der Ukraine. Von ihm wird es in erster Linie abhängen, ob Merkels diplomatische Offerte am Ende Früchte trägt.

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