Zweifel an überstürztem Aus für das Lager Guantanamo

Washington · Es war eines von Barack Obamas wichtigsten Wahl-Versprechen: Das weltweit kritisierte Internierungslager Guantanamo Bay innerhalb eines Jahres zu schließen. Doch sechs Jahre nach Amtsantritt sitzen in den Zellen auf Kuba immer noch rund 130 Häftlinge.

Seit mehreren Monaten drückt der US-Präsident bei der Schließung nun aufs Gas: Auch mit Rücksicht auf sein Renommee in den Geschichtsbüchern will er bis zum Ausscheiden aus dem Weißen Haus im Januar 2017 das Thema zu den Akten gelegt haben.

Gar keine Frage: Die Einrichtung des Lagers Guantanamo nach 9/11, die in den Anfangsjahren dort vorgenommene Folter und der dort geschaffene rechtsfreie Raum zählen zu den Schandflecken in der Geschichte der USA. Nur noch wenige vertreten heute selbst unter Amerikas Konservativen die Ansicht, dass der Zweck - die Sicherheit der Nation - alle Mittel heiligen darf. Aber rechtfertigt der Wille Obamas, seinen Amtszeiten ein spätes Sternchen zu setzen, die nun freizügig praktizierte Entlassung selbst früherer hochrangiger Taliban ? Seit dem Erstarken des "Islamischen Staates" in Syrien und im Irak, aber auch angesichts der Terroranschläge von Paris regt sich in den USA wachsender Widerstand. Die Befürchtung: Dass sich ein großer Teil der noch zu Entlassenen terroristischen Aktivitäten gegen Interessen des Westens widmen wird.

Im Dezember 2014 wurden beispielsweise vier Gefangene ohne Auflagen nach Afghanistan abgeschoben, die einst in die Kategorie "Hohes Risiko" eingestuft worden waren - darunter auch Mohammed Zahir, ein ehemaliges Führungsmitglied der Taliban . Der scheidende US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hatte zunächst diesen Transfer nicht genehmigen wollen, war aber dann vom Weißen Haus überstimmt worden. Anfang 2014 waren bereits fünf hohe Taliban-Funktionäre gegen den US-Soldaten Bowe Bergdahl ausgetauscht worden, der von den Ex-tremisten gefangen worden war, nachdem er sich unerlaubt von seiner Einheit entfernt hatte. Während US-Außenminister John Kerry die Entlassungen letzte Woche als "große Erfolge" feierte und darauf hinwies, dass die Zahl von einst 700 Häftlingen auf nunmehr 132 reduziert worden sei, werden die kritischen Wortmeldungen immer lauter. Offiziell gibt das Pentagon in einer Bilanz die "Rückfall-Quote" der bisher aus Guantanamo Entlassenen mit etwa 20 Prozent an. Mehrere Ex-Häftlinge sollen Berichten zufolge innerhalb des "Islamischen Staates" führende Rollen spielen und unter den Kalifats-Fanatikern hohes Ansehen genießen. Auch im Jemen, wo die "Charlie Hebdo"-Attentäter ausgebildet worden sein sollen, agieren nach Geheimdienst-Erkenntnissen frühere Insassen des Lagers im Al-Qaida-Umfeld.

Das Weiße Haus argumentiert, gerade die Existenz von Guantanamo Bay unterminiere die Sicherheit der USA, weil sie weltweit Dschihadisten motiviere. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dort nicht nur Chorknaben einsitzen oder Menschen, die - wie einst der "deutsche Taliban " Murat Kurnaz - nur zufällig und vermutlich ohne jede Schuld im Netz der Terroristenjäger landeten. Die Antwort darauf kann für die USA eigentlich nur lauten, dass die Guantanamo-Gefangenen nicht einfach abgeschoben werden dürfen, sondern in den USA ein ordentliches Verfahren bekommen.

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