Zur rechten Zeit

Dem Bundestag war es zu heikel, der Bundesregierung auch. Wenn heute das Verfassungsgericht über ein Verbot der NPD verhandelt, tut es das nur auf Betreiben der Länderkammer. Sie setzte sich - mit Zustimmung des Saarlands - 2013 über alle Bedenken hinweg, die Staatsorgane könnten sich zum zweiten Mal nach 2003 mit dem Versuch eines gerichtlichen NPD-Verbots blamieren.Die Frage, ob dieser Schritt weise war, stellt sich heute nicht minder.

Denn er richtet sich inzwischen gegen eine Partei von sinkender Stärke, die - man muss das so sagen - sogar in Sachsen aus dem Parlament geflogen ist. Die Splittergruppe wird sich über den Wirbel freuen, der sie wie die rechte Speerspitze erscheinen lässt.

Nicht auszudenken, sollte das Gericht den Antrag auch noch abweisen - und sei es aus formalen Gründen. Und selbst wenn es gelingt, die plausible Einschätzung gerichtsfest zu belegen, dass die NPD "die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen" sucht, wie das Grundgesetz es definiert? Dann könnte diesen Spruch der Straßburger Menschenrechts-Gerichthof kassieren, weil er die Partei für zu unbedeutend hält. Dann wäre auch noch die deutsche Justiz blamiert. Und das in einer Zeit schwindenden Vertrauens in staatliche Organe - in der rechtsradikale Hetze Alltag und Demokratieverachtung offen zur Schau gestellt wird. Aber vielleicht lohnt sich gerade deswegen das Risiko des Prozesses. Die NSU-Morde, die das Verfahren mit ausgelöst haben, mögen viele in ihrer Monstrosität als Taten weniger Extremisten abgetan haben. Inzwischen aber warnen Experten, dass Gedanken von Rechtsradikalen bis in bürgerliche Kreise vordringen.

Das gemütliche Deutschland konnte sich über Jahrzehnte eine gewisse Lässigkeit gegenüber Verfassungsfeinden leisten. Aber etwas ist in beunruhigender Weise in Bewegung geraten. Inzwischen erscheint nicht mehr auf ewig in Stein gemeißelt, dass die Macht in Deutschland nur zwischen staatstragenden Parteien wechselt. Da sollte sich unsere Demokratie frühzeitig daran erinnern, dass sie sich als wehrhaft versteht - und den Anfängen wehren. Dabei geht es nicht um Einschränkung der Meinungsfreiheit, nicht mal um ein Verbot, Unsägliches zu sagen. Das wichtigste Mittel gegen Radikale bleibt das Argument.

Doch gegen jene, die die Demokratie mit deren eigenen Mitteln - inklusive Wahlkampfkostenerstattung und freien TV-Spots - bekämpfen wollen, braucht es das Gesetz, das ihnen den Zugang hierzu versperrt. Wo die Grenze liegt, konnte das Verfassungsgericht letztmals in den 50er Jahren in Verbotsverfahren formulieren. Wer die Entwicklung auf der Rechten beobachtet, wird sagen: Das NPD-Verfahren kommt zur rechten Zeit.

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