Zum Glück besiegt
Es hat mehr als zwei Generationen gedauert, 70 Jahre, ehe in Deutschland wieder Kinder heranwachsen konnten, deren Eltern weder direkt noch indirekt die Bitternis des Krieges in sich tragen und weitergeben.
Es hat mehr als zwei Generationen gedauert, ehe sich die deutschen Städte von ihren Bombenschäden erholt haben und von den hastigen Fehlern der Aufbaujahre. Es hat 70 Jahre gedauert, ehe sich Europas Staaten und Gesellschaften wieder gefunden haben, sodass sie nun zu neuer Blüte streben können. Wer - zum Beispiel in der Ost ukraine - Waffengewalt für ein geeignetes Mittel hält, um Ziele durchzusetzen, muss wissen: Er selbst und seine Kinder werden den "Erfolg" nicht mehr erleben. Der Krieg hinterlässt nur die Zerstörung von Leben, Werten und Seelen. Er kennt Sieger, aber niemand gewinnt. Nie wieder Krieg, das ist die eine Lehre des 8. Mai 1945.
Tag der Befreiung oder Tag der Kapitulation? Diese Frage ist klar entschieden, nicht erst seit der Rede Richard von Weizsäckers. Angenommen, Hitler hätte den Krieg gewonnen: Wie würden wir dann heute leben? In einem monokulturellen germanischen Reich ohne Freude, in einer militaristischen Gesellschaft, einem Europa der Repression, einer Welt ohne Austausch. Und über allem wäre die Lüge, ja das Trauma des dann verheimlichten und also nicht aufgearbeiteten Massenmordes an den Juden . Kein Zweifel, der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung. Und wir Deutschen bekamen - jedenfalls im Westen - von sehr großzügigen Siegern die Demokratie und eine zweite Chance. Nie wieder Faschismus, das ist die zweite Lehre.
Heute ist Deutschland frei und wirtschaftlich sehr stark, es kann diese Großzügigkeit zurückgeben. Und es muss sie zurückgeben. Das jedenfalls sollte die Haltung sein gegenüber den Problemen anderer Nationen, denen es nicht so gut geht, etwa Griechenland. In Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Abgrenzung lag damals nichts Gutes, liegt heute nichts Gutes und wird morgen nichts Gutes liegen. Es ist die dritte Konsequenz aus dem 8. Mai, dass gerade Deutschland eine auf Kooperation gerichtete verantwortliche Rolle in der Welt übernimmt. Dass es zusammen mit den wichtigsten direkten Nachbarn Frankreich und Polen in besonderer Weise für das Gelingen des Projekts Europa sorgt. Dass es sich gemeinsam mit dem westlichen Bündnis für Frieden, Menschenrechte und Entwicklung in der Welt einsetzt. Dass es Israel, den Staat der Juden , nicht im Stich lässt. Dass es Flüchtlingen Asyl gewährt.
Wir seien "zu unserem Glück" vereint, sagt Angela Merkel oft und erinnert damit an 1990. Man muss mit Blick auf die Ereignisse heute vor 70 Jahren hinzufügen: Wir Deutschen wurden auch zu unserem Glück besiegt.
