Zu früh für Prosecco

Meinung · Die Begrüßung war der Lage angemessen: kein euphorisches Küsschen, sondern ein nüchterner Händedruck. Betont sachlich begegneten sich gestern Bundeskanzlerin Angela Merkel und Italiens Ministerpräsident Mario Monti bei dessen erstem Staatsbesuch in Berlin

Die Begrüßung war der Lage angemessen: kein euphorisches Küsschen, sondern ein nüchterner Händedruck. Betont sachlich begegneten sich gestern Bundeskanzlerin Angela Merkel und Italiens Ministerpräsident Mario Monti bei dessen erstem Staatsbesuch in Berlin. Obwohl Monti in den ersten beiden Monaten seiner Regierungszeit viel erreicht hat, steht ihm die schwierigste Aufgabe noch bevor - für Prosecco ist es zu früh.Zugegeben, fürs Erste hat der Premier sein Land gerettet. Zunächst einmal davor, dass italienische Politik wie zu Zeiten Silvio Berlusconis eher auf den Klatschseiten der Zeitungen stattfindet als im Politikteil. Der neue Regierungschef ist im Auftreten derart sachlich, dass ihn manche Zeitungen zu Hause ganz deutsch "Herr Monti" nennen. Zweitens konnte er den Bankrott des Landes bis auf Weiteres abwenden - mit einem umfangreichen Sparpaket und der Erhöhung des Rentenalters will Monti sogar für 2013 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Merkel zollte ihm gestern ausdrücklich "Respekt" - zu Recht. Nachdem Italien unter Berlusconi ignoriert wurde, waren Streicheleinheiten für die verletzte italienische Seele überfällig.

Doch bei aller Nettigkeit, die Monti von europäischen Partnern erfährt: Italien ist keine Atempause vergönnt. Man sieht es daran, dass Investoren für Anleihen immer noch ähnlich hohe Zinsen verlangen wie zu Berlusconis Zeiten. Das Land hat 1900 Milliarden Euro Schulden, Wirtschaftswachstum ist nicht in Sicht. Monti weiß um diese Situation - und will deshalb bis Ende Januar ein zweites Programm vorlegen. Auf das Sparpaket "Rette Italien!" folgt das Programm "Wachse Italien!", mit dem Monti liberalisieren und mehr Wettbewerb schaffen will.

Selten hatte Italien bessere Voraussetzungen, um sich wirklich zu verändern: eine Regierung voller Fachleute, eine breite Basis im Parlament, ein klares Ziel - und doch muss man schon wieder zweifeln. Obwohl Montis Programm in der Summe für alle Italiener das Beste wäre, werden jetzt die einzelnen Berufsgruppen der Regierung den Kampf ansagen, um ihre Sonderinteressen durchzusetzen. Zu hoffen bleibt, dass das Parlament den Premier weiter unterstützt, auch bei unpopulären Reformen. Eigentlich haben die Abgeordneten gar keine andere Wahl. Denn die Probleme lösen sich nicht von allein. Und was "Herr Monti" mit seinem Übergangskabinett bis April 2013 nicht hinbekommt, das müssen dann wieder normal gewählte Politiker-Regierungen schaffen - oder daran scheitern.

Montis Amtszeit ist eine gewaltige Chance für Italien, für die Wirtschaft in Europa und für den Euro selbst. Das weiß auch Angela Merkel. Deshalb wird sie den Italiener wohl in Zukunft noch inniger begrüßen als mit einem sachlichen Handschlag im kühlen Berliner Winter.

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