Zornige Jugend steckt ein Urlaubsparadies in Brand

Tunis/Madrid. Steine, Flaschen und Molotow-Cocktails fliegen. Prallen gegen Fassaden, aufs Straßenpflaster und gegen die Schutzschilder der Polizei. Szenen aus jenen Straßenschlachten, die seit Tagen in mehreren Städten Tunesiens wüten. Junge Demonstranten brüllen: "Schluss mit der Unterdrückung." Und: "Verteilt den Wohlstand im Land

Tunis/Madrid. Steine, Flaschen und Molotow-Cocktails fliegen. Prallen gegen Fassaden, aufs Straßenpflaster und gegen die Schutzschilder der Polizei. Szenen aus jenen Straßenschlachten, die seit Tagen in mehreren Städten Tunesiens wüten. Junge Demonstranten brüllen: "Schluss mit der Unterdrückung." Und: "Verteilt den Wohlstand im Land." Die Polizei des mit eiserner Hand regierenden Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali antwortet mit Knüppeln, auch mit Schüssen. Mindestens 20, vielleicht sogar 50 Demonstranten sollen bei den Unruhen bisher getötet worden sein, berichten Oppositionelle. Auch über Massenverhaftungen wird berichtet.Die schöne Fassade des beliebten Urlaubsparadieses bekommt mit diesem Gewaltausbruch tiefe Risse. Vor allem europäische Sonnenanbeter fliegen gern mal in das nordafrikanische Land, an dessen Mittelmeerküste auch im Winter frühlingshafte Temperaturen locken. Allein aus Deutschland kommen jährlich rund 500 000 Urlauber. Die EU, wichtigster Handelspartner und politischer Verbündeter Tunesiens, schweigt bislang zur gewaltsamen Unterdrückung der Proteste.

Die Informationslage ist schwierig, weil es in dem Wüstenstaat keine unabhängigen Medien gibt. Kritische Journalisten werden verfolgt, auch verhaftet. Ausländische Korrespondenten werden ebenfalls behindert oder die Einreise wird verweigert. Bilder und Berichte über die blutigen Proteste sollen den Schein nicht trüben, zumal Tunesien gern als arabischer Vorzeigestaat gepriesen wird. In einem Bericht der US-Botschaft, aus dem die französische Zeitung "Le Monde" zitiert, liest sich das freilich anders: Das Regime sei "Mafia-ähnlich" organisiert, heißt es da.

Eines der Epizentren der Protestwelle ist die Stadt Sidi Bouzid, nördlich von Tunis. Dort verbrennt die Menge Fotos des uneingeschränkten Herrschers Ben Ali, der seit 23 Jahren an der Macht ist. Auf dem Marktplatz von Sidi Bouzid zündete sich ein junger Informatiker selbst an, weil er keine Perspektive mehr sah und sich von den Behörden schikaniert fühlte. Sein Tod war der Funke, der die Proteste im ganzen Land auslöste. Mehrere weitere öffentliche Selbstmorde junger Tunesier folgten. Rund zwei Drittel der etwa 10,5 Millionen Einwohner sind jünger als 30 Jahre. Die Arbeitslosigkeit beträgt offiziell etwa 13 Prozent. Unter den zornigen jungen Leuten, darunter viele Akademiker, liegt sie nach Schätzungen jedoch mindestens doppelt so hoch.

Der Aufstand der frustrierten Jugend griff auch auf das benachbarte Algerien über, wo Arbeitslosigkeit und soziale Lage noch schlimmer sind. Auch in Algerien mit seinen rund 35 Millionen Bürgern gibt es seit Tagen gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei, in der Hauptstadt Algier wie in der Provinz. Öffentliche Gebäude wurden in Brand gesteckt, Geschäfte geplündert. Bisher wurden fünf Tote und fast 1000 Verletzte gemeldet.

Algerien ist zwar kein Urlaubsland, dafür aber ein wichtiger Gaslieferant Europas. Deshalb sieht die EU auch hier über systematische Verletzungen der Menschenrechte und fehlende Demokratie hinweg. Die Demonstranten aber rufen: "Wir haben genug von dieser Regierung." Zugleich protestieren sie gegen unbezahlbar hohe Lebensmittelpreise. Der vom Militär gestützte Staatschef Abdelaziz Bouteflika (73), seit mehr als 20 Jahren im Amt, erstickte die Unruhen vorübergehend durch eine drastische Preissenkung für Grundnahrungsmittel. Die Frage ist, ob das genügen kann. Denn Bouteflika gilt beim Volk - ähnlich wie sein tunesischer Kollege Ben Ali - als freundliche Fassade eines korrupten Regimes, das vor allem in die eigenen Taschen wirtschaftet.

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