Zeit der Abgrenzung

Dafür sollte man die große Koalition nicht kritisieren. Zum Teil lassen sich die Projekte, die sie noch auf der Agenda hat, eben nicht so schnell lösen. Siehe Rente. Schon gar nicht, wenn der Finanzminister fehlt. Es sind komplizierte und vor allem teure Vorhaben, deren Umsetzung daher nur in einem langwierigen Prozess gelingen kann. Und das, was möglich war, hat die Koalition bei ihrem gestrigen Spitzentreffen auf den Weg gebracht. Der Koalitionsvertrag wird abgearbeitet, wie bei der Lohngleichheit von Frauen und Männern. Immerhin das.

Neue, zukunftsorientierte Reformvorhaben jenseits der vereinbarten Themen stehen nicht mehr auf dem Programm. Was daran liegt, dass beide Parteien ihren politischen Schwerpunkt langsam, aber sicher verschieben - ihr Handeln orientiert sich immer stärker an der Bundestagswahl in einem Jahr. Da bleibt wenig Platz für neue Gemeinsamkeiten. Zwar sind die Koalitionäre nach ihrem Gipfel darum bemüht gewesen, das Gegenteil zu beteuern. Doch die Zeit der Abgrenzung hat klar begonnen.

In nächster Zeit werden deshalb drei wichtige Wegmarken die Zusammenarbeit bestimmen. In Berlin geht man davon aus, dass ein Kandidat für die Nachfolge von Bundespräsident Joachim Gauck innerhalb der kommenden Wochen gefunden sein wird. Die Zeichen stehen diesbezüglich ein letztes Mal zwischen Union und SPD auf Miteinander. Freilich darf man das nicht falsch interpretieren. Das hat nur wenig mit Lust auf eine neue große Koalition zu tun. Sondern dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, dass das Land gespalten ist wie selten, und Parteiengezänk um das höchste Staatsamt diese Kluft noch vertiefen könnte. Also sucht man in dieser Personalfrage derzeit den Konsens. Und das ist in der jetzigen Situation auch richtig so.

Nach der Kandidatenkür wird die Entfremdung aber vorangetrieben werden. Anfang November findet der Parteitag der CSU statt, auf dem die Bayern mit Macht ihr Alleinstellungsmerkmal als einzige Regionalpartei mit bundespolitischem Anspruch zur Schau stellen werden. Gegen Angela Merkel, gegen die SPD , vor allem aber gegen die AfD. Im Dezember folgt der CDU-Parteitag, auf dem Merkel wieder zur Vorsitzenden gewählt werden will. Dort dürfte sie auch ihre erneute Kanzlerkandidatur verkünden. Danach wird der Druck auf die SPD so groß sein, dass sie die Benennung ihres Anwärters auf das Kanzleramt kaum hinauszögern kann. Es wird aller Voraussicht nach Parteichef Sigmar Gabriel werden. Spätestens dann beginnt der Wahlkampf. Auch am Kabinettstisch.

Das ist die Gemengelage, die sich abzeichnet. Für die Umsetzung von Inhalten gibt es also bald kaum mehr Spielraum. Insofern kann man froh sein über alles, was die Koalition jetzt noch auf den Weg gebracht hat.

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