Zählung ohne Wutbürger

Meinung · Die große Volkszählung 1981 scheiterte an den Wutbürgern, von denen es damals noch mehr gab als heute. Und auch bei der deutlich abgespeckten Umsetzung im Jahr 1987 war der Widerstand der Boykotteure erheblich. Der Staat wollte damals wissen, wie groß das Staatsvolk war, doch das Volk vermutete andere Absichten dahinter, nämlich Kontrolle und Überwachung. Big Brother

Die große Volkszählung 1981 scheiterte an den Wutbürgern, von denen es damals noch mehr gab als heute. Und auch bei der deutlich abgespeckten Umsetzung im Jahr 1987 war der Widerstand der Boykotteure erheblich. Der Staat wollte damals wissen, wie groß das Staatsvolk war, doch das Volk vermutete andere Absichten dahinter, nämlich Kontrolle und Überwachung. Big Brother. Der Fragebogen sah allerdings auch entsprechend aus.Die damalige Anti-Volkszählungsbewegung war im Westen Deutschlands im Grunde die Geburtsstunde des Datenschutzes und bescherte den Bürgern in der Folge das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungs-Urteil formulierte. Dieser Widerstand hat sich tatsächlich gelohnt.

Gestern nun war der Stichtag für den nächsten Zensus. Es ist der Tag, von dem die Statistiker wissen wollen, wie viele Deutsche zu diesem Zeitpunkt in wie vielen Häusern, Heimen oder Wohnungen leben, welcher Religion sie angehören, welche Qualifikation sie haben und welcher Arbeit sie an welchem Ort nachgehen. Das Ziel ist das Gleiche wie damals, doch die Verantwortlichen haben aus dem Widerstand der 80er Jahre offenbar erheblich gelernt. Sie kooperierten schon in der Vorbereitungsphase mit den Kritikern und halten das Ausmaß der Befragung auf niedrigem Niveau, indem sie amtliche Statistiken mit heranziehen. Sie garantieren zudem, dass der Staat von den Angaben der Einzelnen nichts erfährt, und lassen die sensible Frage nach der Religion freiwillig beantworten. Zwar gibt es auch diesmal Bedenken, etwa an der vierjährigen Aufbewahrung der Daten, doch klingen die eher wie kleinteilige Mäkelei. Wenn es keinen bewussten Gesetzesverstoß der Statistiker gibt, und den kann man nicht unterstellen, dann ist diese Volkszählung datenschutztechnisch gesehen ziemlich sauber.

Wer seiner Auskunftspflicht trotzdem nicht nachkommt, muss schon ein starkes Feindbild vom Staat haben, das an Irrationalität grenzt und auch destruktiv ist. Denn dies ist der Staat aller Bürger. Es ist sinnvoll, dass wenigstens alle 25 Jahre die Bewohner-Statistiken von Bund, Ländern und Gemeinden auf den neuesten Stand gebracht werden, damit die Planer von Infrastruktur und Sozialeinrichtungen exakte Basisdaten haben. Das dient allen.

Was die informationelle Selbstbestimmung der Bürger heutzutage wirklich gefährdet, wird hingegen auch von den engagiertesten Gegnern der Volkszählung ständig ziemlich bedenkenlos genutzt: das Handy, das jede Bewegung registriert, und der Computer, der alle Suchanfragen zu einem Profil persönlicher Interessen bündeln kann. Anonym, privatwirtschaftlich und außerhalb jeder Kontrolle.

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