Wunsch und Wirklichkeit

Meinung · Dem alten Tübinger Universitätsgründer Graf Eberhard im Bart hätte die Kunde im 15. Jahrhundert wohl schier die Sprache verschlagen. Heute aber ist die Hochschule am Neckar offenkundig stolz auf den Sitz des ersten Zentrums für Islamische Theologie in Deutschland. Die politischen Absichten hinter dem akademischen Unterfangen sind ebenso honorig wie vordergründig pragmatisch

Dem alten Tübinger Universitätsgründer Graf Eberhard im Bart hätte die Kunde im 15. Jahrhundert wohl schier die Sprache verschlagen. Heute aber ist die Hochschule am Neckar offenkundig stolz auf den Sitz des ersten Zentrums für Islamische Theologie in Deutschland. Die politischen Absichten hinter dem akademischen Unterfangen sind ebenso honorig wie vordergründig pragmatisch. Erstens gilt es, Zeichen zu setzen: Die rund vier Millionen Muslime sollen sich hierzulande in Lebensweise und Religion angenommen und ernst genommen fühlen - zweifellos ein wichtiger Baustein im bundesdeutschen Integrationskatalog.Zum Zweiten soll, wie Bildungsministerin Annette Schavan betont, der "Islam aus dem Hinterhof herausgeholt und transparent" gemacht werden. Will heißen: Mit der Ausbildung von Imamen und Lehrern unter staatlicher Kontrolle soll islamistischen Hetzpredigern, die sich in versteckten Moscheen religiöser Gehirnwäsche und Märtyrer-Akquise verschrieben haben, das Handwerk gelegt werden. Und damit sich radikal-islamisches Gedankengut aus eben jenen Hinterhöfen gar nicht erst in den Hinterköpfen einnisten kann, sollen - drittens - Religionslehrer bereitstehen, die ihre Schüler in einem der Moderne und dem westlich geprägten Verfassungswesen geöffneten Islam unterweisen. Der aber, zumindest in einer alltagstauglichen Form, (noch) gar nicht existiert. Den Bemühungen vieler Islam-Reformer zum Trotz, die seit Jahren vergeblich um allgemeine Anerkennung ringen. Allen voran etwa der in Göttingen ansässige, aus Syrien stammende Politologe Bassam Tibi mit seiner Idee eines "Euro-Islam", der muslimische Pflichten und Prinzipien mit europäischen Werten kombiniert. Bislang fielen solche Visionen weitgehend (falschen?) Toleranzbestrebungen zum Opfer. Durch die neuen Islamzentren könnten sie eine Renaissance erleben.

Auch stellt sich die Frage, welche Glaubensrichtung der Lehre zugrunde gelegt wird - schließlich ist der Islam keine homogene Religion. Sunniten und Schiiten etwa unterscheiden sich fundamental in theologischen Fragen. In Tübingen spricht man indes von einer Unterweisung, die alle Facetten des Islam umfassen soll. Zum Vergleich stelle man sich vor, wie es etwa bei gläubigen Katholiken um die Akzeptanz von Geistlichen stünde, die eine "alle Facetten des Christentums" (nicht des Katholizismus!) umfassende Ausbildung genossen hätten.

Der strittigen Punkte gibt es also reichlich. Und viele an die islamischen Fakultäten geknüpfte Erwartungen werden sich am Ende als Wunschdenken herausstellen. Dennoch sind die wissenschaftlichen Einrichtungen das Wagnis und die Investition wert: kulturell, theologisch - und wohl auch als einzig taugliche Waffe gegen die islamistische Hinterhof-Indoktrination.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort